Bellen, beißen oder beides?

Kommentar zu einem Beschluss der StudentInnenschaften von 1967.

Beschluss 600/A/6 (1967) des vds (Verband deutscher Studentenschaften, Vorgänger des fzs)

Aufgaben der Studentenzeitung

Die 19. o. MV. möge beschließen:

Eine von der Studentenvertretung herausgegebene Studentenzeitung ist das Interessenorgan der Studentenschaft. Ihre Politik wird bestimmt durch die Interessen der Studentenschaft in einer konkreten gesellschaftlichen Situation.

Die deutsche Universität sieht sich gegenwärtig massiven Forderungen nach Reform ausgesetzt. Das Hauptkriterium der öffentlichen Diskussion scheint zur Zeit die Effizienz der Universitätsbetriebe zu sein. Daraus ergibt sich die Forderung nach Rationalisierung, Spezialisierung und Disziplinierung. Die Interessen der Studierenden an einer Reform sind dagegen Wissenschaftlichkeit, Berufsfähigkeit und Chancengleichheit. Der ständigen Praxis autoritärer und administrativer Maßnahmen der Ordinarienuniversität ist das Modell einer demokratischen Universität entgegenzuhalten. Ziel studentischer Politik ist es, gesellschaftliche Vorgänge auf ihre Relevanz für die Universität zu analysieren und aus den gewonnenen Einsichten eine Reformpolitik abzuleiten, die zu einer demokratischen Hochschule in einer demokratischen Gesellschaft führt.

Die Studentenvertretung sieht ihre Aufgabe als primär

1. in der Abwehr technokratischer Reformen und in der Durchsetzung wissenschaftlicher Studienreform,

2. im Abbau autoritärer Herrschaftsstrukturen und in der Durchsetzung eines demokratischen Universitätsmodells,

3. in der politischen Vertretung dieser Interessen.

Die Studentenzeitung hat diese studentische Politik unbedingt zu unterstützen. Sie versteht sich als parteiliches Interessenorgan der Studentenschaft. Aus diesem Verständnis der Studentenzeitung ergeben sich zwei Hauptaufgaben der redaktionellen Arbeit:

1. diese studentische Politik gegenüber der studentischen Öffentlichkeit zu vertreten und zu interpretieren,

2. die Studentenvertretung zu kritisieren, wenn sie diese Grundsätze studentischer Politik verletzt,

3. diese studentische Politik gegenüber Universitäten und staatlichen Instanzen durchsetzen zu helfen.

Schwerpunkte des redaktionellen Programms sollten darum sein:

1. Analysen und Berichte über die Studienbedingungen, denn das genaue Interesse der Studierenden richtet sich auf ihre gegenwärtigen Arbeitsbedingungen. Berichte und Analysen, in Verbindung mit Verbesserungs- und Änderungsmodellen, können den Studierenden ihre Lage bewusst machen und sie an Veränderungen interessieren.

2. Analysen und Berichte über die Lehre und Forschung an der betreffenden Universität, denn durch die mit hoher Autorität verbundene Stellung des Ordinarius wird der durch diesen bestimmten Lehr- und Forschungsbetrieb leicht kritiklos hingenommene Hintergrundberichte aus der Forschung und Analysen von Lehrveranstaltungen (Rezensionen) können den Studenten zur Kritik erziehen und Änderungen des Ausbildungsbetriebes herbeiführen.

3. Aufklärung und konkrete Berichte über die institutionellen Verhältnisse an der Universität, denn die autoritäre Struktur der Universität mit ihren nachteiligen Folgen auf Forschung, Lehre und Studium und demokratische Bildung müssen stets und immer möglichst an aktuellen Beispielen angezeigt werden.

Dieses Programm erfordert ein umfangreiches Netz von Informanten. Hierzu sollten nicht zuletzt die institutionalisierten Studentenvertretungen beitragen, die am leichtesten Informationen erhalten. Die Studentenzeitung sollte mit jeder Ausgabe ein neuer Katalog von Mängeln der gegenwärtigen Universität sein, aber den Studierenden gleichzeitig durch die Darstellung reformatorischer Konzeptionen und Modelle das Bewusstsein für die Möglichkeit von Veränderungen geben.

Darüber hinaus gilt es, die Interessen der Studenten gegenüber staatlichen Instanzen zu vertreten: vor allem im hochschulpolitischen und sozialen Bereich. Die zu diesen Problemen von den Studentenvertretungen entwickelten Gedanken sollten öffentlich gemacht werden und mit dem nötigen Nachdruck vorgetragen werden.

Eine Studentenzeitung, die sich so als Interessenorgan der Studentenschaft versteht und die autoritären Züge in Universität und Gesellschaft entlarvt, wird ständig Repressionsversuchen staatlicher und universitärer Instanzen ausgesetzt sein. Darum bedarf sie der rückhaltlosen Unterstützung durch die Studentenvertretung.

Die Vorlage wurde mit 182 Stimmen bei 108 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen beschlossen.

Tatsächlich klingt der Beschluss der Mitgliederversammlung der VDS von 1967 verblüffend aktuell, wenn etwa die öffentliche Diskussion um die Hochschulen mit Rationalisierung, Spezialisierung und Disziplinierung verknüpft wird. Die Begriffe heute sind andere: der internationale Wettbewerb, die Profilbildung und die Verkürzung der Studienzeiten. Wissenschaftlichkeit auch im Studium hat heute wie gestern einen relativ schweren Stand. Berufsfähigkeit - verstanden als per Bachelor herbeigeführte massenhafte Ausbildung auf bestimmte Berufsfelder hin - ist dagegen zu einer Kernforderung der Politik geworden, an der sich alles andere zu orientieren hat. Der VDS-Beschluss folgert aus der Analyse der damaligen Situation, dass es Ziel studentischer Politik sein müsse, "gesellschaftliche Vorgänge auf ihre Relevanz für die Universität zu analysieren" und daraus eine gesellschaftliche Reformpolitik abzuleiten. Zu den Aufgaben der Studierendenvertretungen wird gesagt, dass diese in der die Aufrechterhaltung der Wissenschaftlichkeit des Studiums, der Durchsetzung von Demokratie auch an der Hochschule und der politischen Interessenvertretung der Studierenden liegt. Das mag heute noch Gültigkeit haben.

Allerdings finde ich es geradezu grotesk, wenn nach der hierarchiekritischen Analyse dann per zentralem Beschluss festgelegt wird, was bitteschön die Aufgaben einer Studierendenzeitung zu sein haben. Nämlich: Studentische Politik der Öffentlichkeit gegenüber zu vertreten und zu interpretieren (!), die Studierendenvertretung zu kritisieren, wenn sie vom rechten Weg abkommt, und insgesamt dabei zu helfen, studentische Politik durchzusetzen. Hier kommen eine völlig falsche Einschätzung der Machtverhältnisse an den Universitäten mit einem utopischen Glaube an die Aufklärung zusammen. Wenn in der "Studentenzeitung, die sich so als Interessenorgan der Studentenschaft versteht" die "autoritären Züge in Universität und Gesellschaft entlarvt" werden, ist das schön und gut. Zu wissen, dass etwas falsch läuft, ändert aber rein gar nichts daran, dass es falsch läuft.

In der Zeitung - verstanden als Hilfsorgan der progressiven Studierendenschaft - wollte der VDS damals folgendes lesen: Erstens Analysen und Berichte (nämlich über die Studienbedingungen), zweitens Analysen und Berichte (nämlich über Lehre und Forschung), und drittens Aufklärung sowie konkrete Berichte über die autoritäre Struktur der Universität. Im Ergebnis ergibt das einen "Mängelkatalog", ergänzt um Verbesserungsvorschläge.

Natürlich gehört es zu den Aufgaben einer studentischen Zeitschrift, sich zur konkreten Situation der Universität und der Studierenden zu äußern. Aber braucht es dazu zentraler Beschlüsse und politischer Vorgaben? Oder wäre es nicht besser, statt alle zwei Wochen in einem dann doch immer wieder gleichen Mängelkatalog zu blättern, ein u-asta-info in der Hand zu halten, das versucht, der Heterogenität der Studierendenschaft gerecht zu werden? Das sowohl über die politische Arbeit des u-asta berichtet, ohne den einzig wahren Weg zu kennen. Das dazu auffordern, aktiv gegen konkrete und strukturelle Mängel des Studiums vorzugehen - das aber auch Themen aufgreift, die mit Studierenden nichts zu tun haben, und so eine Möglichkeit für alle Studierenden eröffnet, ihre Meinung darzustellen und zu diskutieren. Ganz ohne den Druck der Einheitsfront!


 
(c) Till Westermayer, Oktober 2002. Veröffentlicht in: u-asta-info 690, 24.10.02, S. 8/9.