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Zitierweise
Till Westermayer (1998): Politik im Internet. Ahnen, Projekte und Chancen. Hausarbeit am Institut für Informatik und Gesellschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. [http://www.westermayer.de/till/uni/sin-ha.htm].
Till Westermayer, 1998
Institut für Informatik und Gesellschaft
Dr. Christiane
Funken
Seminar: Soziologie des Internets
Wintersemester 1997/98
Till Westermayer
Kandelstr. 62
79194 Gundelfingen
till.we@3landbox.comlink.apc.org
Soziologie (HF), Informatik (NF), Psychologie (NF)
5. Semester
29. März 1998
[E]in richtiger Umbruch kommt nicht mehr aus einer Generation heraus, die [...] eines Tages endlich wieder alles auf den Kopf stellt. Dafür ist das System mittlerweile zu kompliziert. Wenn ich zukünftig fundamentale Änderungen erreichen will, funktioniert das höchstens über eine digitale Demokratie. [...] Das wäre für mich die Plattform für dramatische gesellschaftliche Veränderungen. (Roland Gieske[1])
Elektronische Demokratie. Die Wahl von Bill Clinton [...] wurde unter anderem mit »Call-in-Shows« gewonnen. [...] Sowohl Rundfunk als auch Fernsehen werden »basisdemokratische Shows« entwickeln, die als Blitzableiter und Kampagneninitiatoren dienen. [...] Besonders das ausgeprägte Bedürfnis der Deutschen, sich zu beschweren, dürfte Call-in-Konzepte zukunftssicher machen. (Matthias Horx[2])
Thema
dieser Arbeit ist Politik im Internet, und zwar weniger aus einer
politikwissenschaftlichen[3], sondern vielmehr
aus einer beschreibenden Perspektive. Trotzdem bleibt der Bereich Politik im
Internet noch immer ein sehr großes Feld. Bevor ich auf den Aufbau
der Arbeit eingehe, möchte ich deswegen kurz erklären, was alles
nicht Thema der Arbeit sein soll.
Nicht Thema der Arbeit ist erstens alles, was sich mit Politik im Internet
für das Internet beschreiben läßt - ausgeklammert bleibt
also der ganze Bereich der Netzpolitik: die im Netz etablierten
Regulationsverfahren für Entscheidungen, die das Netz betreffen; die
Netzabstimmung über neue newsgroups genauso wie die mehr oder
weniger netzinterne Debatte über Standards und Richtlinien[4]. Zweitens soll es in der Arbeit nicht um Politik
für (oder gegen) das Internet gehen, gemeint als salopper Oberbegriff
für alle Arten der die (De-)Regulation der Netze betreffenden Gesetzgebung
und -ausführung. Hierunter würde etwa eine Auseinandersetzung mit dem
Telekommunikationsdienstegesetz fallen. Schließlich soll es hier drittens
nicht um die politischen Theorien gehen, die hinter Politik im Internet
oder einzelnen Fallbeispielen stecken, und auch nicht um die ausführliche
Erläuterungen der informationstechnischen Funktionsweisen.
So - jetzt geht es darum, worum es hier geht: Diese Arbeit besteht aus drei
relativ unabhängigen Abschnitten, die allerdings teilweise aufeinander
aufbauen. Im ersten Teil mache ich einen gewaltigen Schritt zurück in die
Vergangenheit - es geht um die Ahnen einer Politik im Internet.
Die Idee, daß elektronische Kommunikationsmedien - und das Internet kann
ja durchaus als ein solches betrachtet werden - zum Ausbau oder auch zum Abbau
von Demokratie genutzt werden können, ist keine Erfindung der 90er Jahre.
Erste Spuren ähnlicher Ideen habe ich bereits 1962 gefunden. Dieser erste
Teil soll anhand einiger Beispiele schildern, was für Hoffnungen und
Befürchtungen im Zeitraum von 1960 bis 1984 mit verschiedenen Varianten
und Vorgängerinnen der Computerdemokratie verbunden wurden.
Die Schlußfolgerungen aus dem ersten Teil dienen unter anderem als
Frageraster für den zweiten Teil der Arbeit, der sich mit der Gegenwart
beschäftigt. Anhand von vier aktuellen Fallbeispielen geht es darum, wie
Elemente einer Politik im Internet heute aussehen können. In der
Beschreibung und Debatte dieser aktuellen Projekte einer Politik im
Internet sollen die besonderen Entwicklungsmöglichkeiten,
Arbeitsweisen und Probleme verschiedener Elemente einer Politik im Internet
näher betrachtet werden.
Der dritte Teil schließlich befaßt sich mit den Chancen der
Politik im Internet. Zuerst möchte ich hier kurz auf die besonderen
Eigenschaften einer elektronisch vermittelten Demokratie eingehen - einmal
anhand von soziologischen Auseinandersetzungen mit dem Internet, und dann
anhand der verschiedenen aktuellen Debatten um diese Thematik. Nach einem Blick
auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der amerikanischen und der deutschen
Situation versuche ich schließlich als Fazit der Arbeit, ein auszumalen,
wie ein kurzfristiges Szenario der Weiterentwicklung von Politik im Internet
in Deutschland aussehen könnte.
Die Idee der Nutzung des Computers im politischen Raum ist - für mit dem Computer verbundenes Gedankengut - schon relativ alt. Auf den folgenden Seiten möchte ich deswegen anhand von verschiedenen Beispielen auf einen Diskurs zurückblicken, den ich mangels eines besseren Begriffs erstmal mit dem Stichwort Computerdemokratie versehe. Praktischerweise existiert dieser Begriff auch im Lexikon zur Soziologie, das folgende Definition (und auch gleich noch ein Datum) liefert:
Computerdemokratie, in den 1960er Jahren entwickelte Vorstellung einer unmittelbaren Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungsprozessen durch die Nutzung moderner Telekommunikations- und Datenverarbeitungsanlagen. (Tschiedel 1996)
Interessanterweise scheint diese ,,in den 60er Jahren entwickelte Idee" etwas zu sein, was relativ spontan und urheberlos aufgetreten sein muß. Jedenfalls ist es mir nicht gelungen, den oder die UrheberIn dieser teilweise auch auf andere Medien wie das Kabelfernsehen bezogene Idee zu finden. Marshall McLuhan scheint die Idee erwähnt zu haben, ebenso Buckminster Fuller (Hagen 1997, S. 59). Helmut Krauch verweist auf Experimente im kalifornischen Berkley Ende der 60er Jahre, viele andere gehen ,,quellenlos" auf diese Idee in verschiedenen Varianten ein - ich habe den Eindruck, als ob es anhand der damaligen gesellschaftlichen Aufnahme des Computers als neuem, bewunderten oder gefürchteten Phänomen, dem mehr oder weniger alles zugetraut wurde[5], einfach nahelag, daran zu denken, ob ,,das Elektronengehirn" (Berkeley 1966) nicht vielleicht auch den Bereich der Demokratie revolutionieren könne.
Stellen wir uns vor, daß an das Telefon eines jeden eingeschriebenen Wählers ein Gerät angeschlossen ist: in ihm kann eine dreistellige Zahl für die Nummer einer bestimmten Frage gespeichert werden; einen Schalter könnte man auf »Ja«, »Nein«, »Enthaltung« und »es kommt darauf an« stellen. Tagsüber liest der Wähler in der Zeitung, daß sein Abgeordneter sich diese oder jene Frage überlegt. Er geht zu seinem Telefon, stellt die Nummer der Frage ein und mit dem Schalter seine Meinung dazu. In der Nacht [...] wird sein Telefon durch einen elektronischen Impuls befragt. Die Information, die sein Gerät enthält - seine »Stimmabgabe« wird dem Büro des Abgeordneten übermittelt und dort durch einen Rechner erfaßt. Am Morgen weiß der Abgeordnete, wie seine Wähler in der Frage denken, über die er selber nachgedacht hat. (Berkeley 1966, S. 169)
Aus dieser Utopie klingt noch sehr stark das Staunen
einer Gesellschaft hervor, die gerade bis dahin unbekannte
Speicherkapazitäten und (statistische) Rechenmöglichkeiten einer
neuen technischen Erfindung kennenlernt. Edmund C. Berkeley hatte dies 1962
niedergeschrieben - also noch vor den Unruhen der späten 60er Jahre.
Entsprechend unbedarft-technisch-naiv klingt seine Schilderung für heutige
Ohren[6], und entsprechend steht sie in
Berkeleys Buch in einer Reihe mit Vereinfachungen bei der Auswertung der
Volkszählungen und Wahlanalysen sowie mit der Prophezeiung von durch den
Computer möglich gewordenen statistischen Verbrechensvorhersagen zur
Durchführung der Gesetze. Das technische Substrat dieser Utopie sind
Rechner, die an zentralen Stellen - z.B. im Büro eines Abgeordneten -
angebracht sind, und die das Telefonnetz nutzen, um mit im heutigen Jargon
,,dummen" Zusatzgeräten Kontakt aufzunehmen, die nichts weiter machen, als
auf Anfrage durch den zentralen Rechner eine Nummer und eine Schalterposition
zu übermitteln. Bis auf den die Auswertung übernehmenden Rechner -
das große Staunen über elektronische Statistik - also eigentlich
selbst für die 60er Jahre nichts grundlegend neues.
Die Kommunikationsstruktur dieser Utopie sieht ebenfalls ziemlich konventionell
aus: ,,Der Abgeordnete" stellt - über ein klassisches Medium wie etwa die
Zeitung - eine Frage an seine Wähler und Wählerinnen. Diese reagieren
darauf mit »Ja«, »Nein«, »Enthaltung« oder der
bemerkenswerten Antwort »Es kommt darauf an«. ,,Der Abgeordnete"
bezieht die kumulierte WählerInnen-Meinung in seinen persönlichen
Entscheidungsprozeß ein (oder auch nicht ...) und stellt - wiederum per
Zeitung - die nächste Frage. Das elektronisch abgegebene Votum hat
höchstens einen beratenden Charakter, es ist einfach eine etwas
simplifizierte Variante eine telefonischen Befragung der - durch das
US-Wahlsystem in etwas engerer Verbindung als hierzulande stehenden -
WählerInnen einer Abgeordneten. Zehn Jahre später ist alles etwas
moderner geworden, dann klingt diese Idee einer permanenten Meinungsumfrage[7] wie folgt:
In einem Experiment wurde 1967 an der Universität von Kalifornien in Berkely ein Staatswesen der Zukunft, eine Direkt-Demokratie simuliert. Politiker und Fachleute diskutierten Streitprobleme, und die Staatsbürger schauten dabei nicht nur zu, sondern gaben fortlaufende Bewertungen ab, die von einem Computer blitzschnell ausgewertet und dargestellt wurden. Die politische Diskussion sollte dadurch entsprechend den alten demokratischen Idealen wieder direkt ins Volk hineingetragen werden. Eine Rundfunkstation half im Frühjahr 1967, dieses Konzept öffentlich zu experimentieren. Schließlich [...] beriet [das Fernsehen, T.W.] über Möglichkeiten, ein solches Experiment auch einmal im Deutschen Fernsehen zu senden. Dieses System wurde ORAKEL getauft [...] ORAKEL bedeutet Organisierte Repräsentative Artikulation Kritischer Entwicklungs-Lücken. (Krauch 1972, S. 54)
Ein derartiges ORAKEL soll aus einem ,,organisierten
Konflikt" bestehen - ,,nicht sehr verschieden von einer hitzigen Debatte im
Parlament" (Krauch 1972, S. 54) - gedacht als eine nicht
allzugroße Debattenrunde, an der VertreterInnen aller von einem Thema
direkt oder indirekt beteiligten Bevölkerungsgruppen direkt oder indirekt
vertreten sind, und die eben hitzig debattiert; sowie aus einem darauf (per
Telefon) reagierenden Panel und aus einer Expertendatenbank[8] für Rückfragen. Ab und zu hält der
organisierte Konflikt inne, um sich an das die live ausgestrahlte Debatte
verfolgende Fernsehpublikum zu wenden. Dieses hat nun die Gelegenheit, per
Telefon abzustimmen und muß dazu eine Code-Nummer durchgeben, die im
Unterschied zum heutigen TED nicht nur die Antwort auf die am Bildschirm
gestellte Frage enthält (auf einer 5-Punkt-Ratingskala), sondern auch
Geschlecht, Einkommensklasse und Alter. So sollte sichergestellt werden,
daß die Telefonabstimmung nicht allzusehr manipuliert wird und
einigermaßen repräsentativ ist. Die Codenummern werden von
studentischen Hilfskräften in einen Zentralrechner übertragen, der
wiederum wenige Minuten später das Umfrageergebnis in die Debattenrunde
einfließen läßt.
Auch hier haben wir wieder den zentralen Rechner, der per Telefonnetz bedient
wird. Statt kleiner einstellbarer Kästen gibt es - immerhin wurde das
Experiment im WDR tatsächlich mehrfach durchgeführt, und da
mußte halt die vorhandene Technik genutzt werden - Codenummern und
Menschen, die diese wiederum in den Computer eingeben. Im Unterschied zu
Berkeleys Utopie ändert sich hier einerseits das Fragemedium - von der
Zeitung zum Bildschirm[9] - und andererseits
erfolgt die Reaktion schon nahezu in Echtzeit. Weiterhin richtet sich jetzt die
Partizipation nicht mehr an ,,den Abgeordneten", nachdenkend in seinem
Büro, sondern an stellvertretend für das ganze Volk diskutierende
RepräsentantInnen. Auch hier bleibt es allerdings beim beratenden
Charakter und dem Einfluß auf die öffentliche Meinung, ein
tatsächlicher Volksentscheid per TED wird auch von Krauch noch nicht
versucht - aber immerhin schon angedacht:
Würden wir aber mehr über unsere Handlungsmöglichkeiten und ihre Folgen nachdenken, [...] so würden sich die Gedanken [...] auf aktives Handeln im Gegensatz zum angepaßten Konsumieren bewegen. Die Ordnungs- und Verteilungsprozesse, die jetzt vorwiegend der Produktion, der Verteilung und dem Warenkonsum dienen, würden auch andere Bereiche menschlichen Zusammenlebens durchdringen, ja, man würde sie anwenden müssen, um die große Anzahl individueller Wünsche und den Handlungsspielraum aufeinander abzustimmen. Da man hierfür den Computer und die Nachrichtentechnik braucht, es sich zugleich um einen grundsätzlich demokratischen Vorgang handelt, bezeichnen wir ein derartiges System als Computer-Demokratie. Dieses System kann die Spaltung zwischen Erfahrungswelt und Scheinwelt der Medien aufheben, weil die Medien in direkter Beziehung mit allen Bürgern stehen und von diesen gesteuert werden. (Krauch 1972, S. 3; Hervorhebung von mir)
Krauchs Definition einer Computerdemokratie als Ausgangspunkt seines ORAKELs geht dann doch über die Meinungsumfrage hinaus. Ob allerdings die Medien - selbst in der Computerdemokratie - tatsächlich von ,,allen Bürgern" gesteuert würden und in direkter Beziehung zu ihnen ständen, sei dahingestellt.
Bleiben wir noch einen Moment bei den Utopien, bevor wir zu den Ängsten und zur Kritik kommen. Wiederum etwa zehn Jahre später, im Orwell-Jahr 1984 nämlich, veröffentlicht der Bremer Informatiker Klaus Haefner[10] das Buch Mensch und Computer im Jahre 2000. Der größte Teil des Buchs beschäftigt sich damit, zu begründen, warum wir den - humanen - Einsatz von Informationstechnologie unbedingt benötigen, zu was für positiven Entwicklungen es kommen könnte, und was für negative Entwicklungen widrigenfalls auf uns - den damals schon bedrohten Standort Deutschland - zukommen würden. Mit anderen Worten: Eine ziemlich umfassende Vision einer in vielen Teilen neuartigen Gesellschaftsordnung, die aber doch auf der Bundesrepublik der 80er Jahre aufbaut. Ein Teil dieser mit Informationstechnologie ,,zum Wohle aller" durchzuführenden Veränderungen betrifft die Demokratie: Dabei soll das ,,System der »groben Richtungswahl«" (Haefner 1984, S. 287) allmählich ersetzt werden durch eine ,,direktere Demokratie" nach dem Grundsatz ,,[D]er »informierte Bürger« muß das Recht haben, an wesentlichen Entscheidungen unmittelbar teilzunehmen" (ebenda):
Im Zentrum eines solchen Systems muß [...] eine telekommunikative Infrastruktur stehen. Das z.Z. im Aufbau befindliche Bildschirmtext-System eignet sich strukturell für dieses Ziel. Es enthält alle notwendigen Komponenten für ein direkteres demokratisches System: Erstens erlaubt es - mittelfristig - breiten Schichten Zugang zur politisch relevanten Information, und zwar auch in Form gezielter Nachfragen. Zweitens gestattet es, die Meinungen breiter Schichten zu politischen Fragen anonym und repräsentativ direkt zu erheben. Drittens ist es [...] möglich, das Spektrum politischer Meinungen breiter Schichten politisch transparent auszuwerten sowie in [...] Entscheidungen umzusetzen. (Haefner 1984, S. 290; Hervorhebung im Original)
Dieses System soll langsam aufgebaut werden, erst
parallel zum Bestehenden, regional und als zweite Kammer neben den
repräsentativen Organen, dann irgendwann bundesweit, den
größten Teil der Entscheidungskompetenz auf sich vereinend. Im
Vergleich zu den beiden zuvor genannten Modellen ergeben sich aus meiner Sicht
drei gravierende Unterschiede: (1) Es geht nicht mehr nur um das Abfragen von
Meinungen, sondern langfristig darum, tatsächlich zu entscheiden. (2) Der
Kommunikationsprozeß verläuft bidirektional in einem Medium.
Dabei geht es nicht mehr nur um Ja/Nein-Kommunikation oder Rangskalen, sondern
auch um ,,gezielte Nachfragen". (3) Der Rechner ist nicht mehr nur bequemer
Statistiklieferant, sondern in seiner Inkarnation als vernetzten
Kommunikationsmedium (hier: Bildschirmtext) wichtiger Bestandteil des
Modells.
Da (2) und (3) noch verstärkt auch für das Internet - Bildschirmtext
mit anderen Mitteln, und ohne die zentralisierte Struktur - gelten, lassen sich
Haefners Argumente meiner Meinung nach direkt auf dieses Medium
übertragen.[11] Technisch sieht Haefner
keine nicht lösbaren Probleme[12]. Und
anders als bei der repräsentativen Demokratie, deren Beibehaltung in einer
informatisierten Gesellschaft zu einer Reihe von Problemen führen
würde, glaubt er, daß es bei der ,,direkteren Demokratie" zwar zu
einer gewissen Schwerfälligkeit käme, daß dafür aber
langfristig die im Sinne des Gesamtsystems, nicht die im Sinne von Machteliten,
richtige Entscheidungen gefällt werden würden. Dies soll vor allem
dadurch geschehen, daß alle - und eben nicht nur die Eliten - aus Fehlern
lernen. Überhaupt vergleicht Haefner seine human-computerisierte
Gesellschaft gerne mit einem Organismus, bei dem ebenfalls alle Komponenten
ständig aufeinander abgestimmt werden müssen.
Wie erwähnt, sieht Haefner bei Beibehaltung der repräsentativen Demokratie in einer maßgeblich durch Informationstechnologie geprägten Gesellschaft eine Reihe von Problemen.
Zwischen moderner Informationstechnik und klassischer Demokratie-Organisation bestehen vielerlei Spannungsverhältnisse. [...] [S]o ist eine Gesellschaft mit einem hohen Anteil an automatisierten Prozessen sicher anfällig gegen die Übernahme informationstechnischer Entscheidungsstrukturen auch in das politische System. [...] Je aktiver die Bevölkerung am politischen Handeln beteiligt und je tiefer demokratisches Verhalten bei den einzelnen verwurzelt ist, um so geringer die Chance, daß die informationstechnischen Netzwerke die Demokratie zerstören. (Haefner 1984, S. 109)
Ausgangspunkt für diese
Aussage ist eine Zusammenfassung von Positionen ,,der Kritiker" zum
Spannungsfeld Informationstechnologie und Demokratie. Er akzeptiert die Warnung
vor der Gefahr einer Aushöhlung der Demokratie durch ein Netzwerk der
Macht, das ,,mittels der Informationstechnik unterhalb der formalen
demokratischen Kontrollstrukturen [...] entsteht" (Haefner 1984, S.
106). Befürchtet wird, daß ein derartiges Netz ,,zentral
bestimmt und kontrolliert [sei] und [daß es] die Mitwirkung des einzelnen
unmöglich [mache]." (ebenda). Weiterhin nennt er Ängste vor
der Macht multinationaler Konzerne, die als Akteuere der Rationalisierung und
Vernetzung auftreten, vor Monopolisierung von Information à la Orwell
1984 und die Empfindung, daß ,,die Penetranz der Informationstechnik in
die Gesellschaft [...] von vielen als ein gesteuerter [...] Angriff auf die
demokratischen Rechte des einzelnen gesehen [wird]" (Haefner 1984, S.
107).
Haefner sieht diese Befürchtungen 1984 noch nicht erfüllt und meint,
ein differenziertes Funktionieren des ,,politischen Apparats" ausmachen zu
können. Gleichwohl kommt er zu dem Schluß, daß eine aktive
Einbindung der Bevölkerung notwendig ist, damit sich ,,Sachzwänge"
nicht weiter verselbständigen. Die Ängste vor der
Informationstechnologie in Bezug auf Demokratie könnten sich
verwirklichen, wenn nicht die Informationstechnologie dazu genutzt wird, die
Demokratie selbst auf ein den neuen wirtschaftlich-technischen Umständen
entsprechendes Niveau ,,upzugraden". Er begründet allerdings nicht, wieso
die aktive Beteiligung der Bevölkerung am politischen Handeln auf
informationstechnischer Basis geschehen muß. Er selbst legt großesn
Wert darauf, daß es um strukturelle und nicht um technologische Probleme
geht. Demzufolge müsste prinzipiell auch eine nicht-elektronische
,,direktere Demokratie" seinen Anforderungen entsprechen.
Haefners Variante von Bildschirmtextdemokratie sieht Nachfragen und
differenzierte Rückantworten vor. Dies ist in vielen anderen Modellen
nicht der Fall. Er geht auch nicht weiter darauf ein, wie er sich mit den
beschränkten Möglichkeiten des Mediums Bildschirmtext dieses
gleichberechtigte Nachfragen vorstellt. Demzufolge argumentiert Fritz Kuhn
ebenfalls 1984 völlig zurecht:
Computerdemokratie ist alles andere als eine sinnvolle Möglichkeit zur Verwirklichung direkter Demokratieformen. Sie ist eine durch ein zentralistisches Medium vermittelte und gesteuerte Veranstaltung, die den Einzelnen - noch stärker als beim heutigen repräsentativen System - jeder Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung berauben würde. Computer-Demokratie ist eine Ja/Nein-Demokratie, die gerade die gestalterische Mit- und Selbstbestimmung des Bürgers, wie sie die direkte Demokratie vorsieht, verunmöglichen würde. Dies sei ganz besonders jenen aus dem alternativen und grünen Lager ins Stammbuch geschrieben, die bisweilen mit den basisdemokratischen Möglichkeiten der neuen Informationstechnologie liebäugeln. (Kuhn 1984, S. 145)
Fritz Kuhn bezieht sich in seiner Argumentation vor allem auf den Technologiekritiker und Journalistikprofessor Claus Eurich, der ziemlich ausführlich begründet, warum er beim Einsatz einer ,,Abstimmung per Knopfdruck zu Hause am Bildschirm" (Eurich 1982, S. 105) nachteilige Folgen für die Gesellschaft befürchtet. Bevor ich nochmal ausführlicher auf Eurichs Argumentation eingehen möchte, seien hier noch einige weitere kritische Stimmen zitiert. Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete und spätere hessische Wirtschaftsminister Ulrich Steger meint (nochmals 1984) im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Telematik[13] ganz lapidar:
[Telematik ermöglicht einen] bessere[n] Informationszugriff von Bürgern und Parlamenten, mit der Chance des Abbaus von Informationsvorsprüngen der Exekutive - auch wenn naive Konzepte einer »direkten Demokratie« per Bildschirm-Meinungsumfrage entschieden abgelehnt werden müssen. (Steger 1984, S. 117)
Auch
wenn Steger zur ,,Bildschirm-Meinungsumfrage" nur das Adjektiv naiv als
Gegenargument einfällt, sieht er trotzdem - ohne nähere Konzepte zu
erläutern - ,,unser politisches System vor enormen Herausforderungen.
[...] Umso dringender ist es, schon jetzt darüber nachzudenken, wie wir
unsere politische Kultur weiterentwickeln wollen." (Steger 1984, S. 127).
Etwas ausformulierter äußerte Klaus Brepohl zehn Jahre zuvor bereits
ähnliche Bedenken wie Steger (hier in Bezug auf das Kabelfernsehen als
Breitband-Kommunikationsmedium), begründet mit der Gefahr der
,,Manipulation der Bevölkerung":
Der nächste Schritt wäre, daß politische Kandidaten, Werbeslogans und ganze politische Wahlprogramme über Kabel getestet werden. Von dem Ergebnis hängt dann ab, welcher politische Kandidat endgültig aufgestellt, für welche Wahlstrategie sich eine Partei entscheidet. Die Manipulation der Bevölkerung wäre perfekt. [...] Der Einführung einer »direkten Demokratie« stände nichts mehr im Wege: über alles und jedes könnten die Bürger durch Knopfdruck entscheiden. Nur ob man dann noch von Demokratie reden kann, dürfte fraglich sein. (Brepohl 1974, S. 268)
Ähnlich - nur in noch etwas feinerer Körnung, nämlich nicht mehr bezogen auf die Bevölkerung, sondern auf jeden einzelnen - sah das auch Gerd Hoffmann, der beim Einsatz eines weiterentwickelten Bildschirmtextgeräts oder 2-Wege-Kabelfernsehen befürchtete, daß Staat und Wirtschaft alle Kommunikationsakte überwachen und dadurch ein individuelles Profil jedes einzelnen anlegen könnten - um dann staatliche oder private Angebote genau auf das Profil des einzelnen abstimmen zu können. Er spricht vom ,,Mensch am Draht", befürchtet etwas unvermittelt Sinnverlust und Resignation und mahnt, daß ,,der Bürger" ...
... sowohl zur individuellen als auch kollektiven Mitgestaltung wenigstens der Inhalte einer neuen Gesellschaft befähigt werden muß, sofern man über den mündigen Bürger hinaus den informierten Bürger wünscht und nicht bereit ist, die Rückentwicklung zum weitgehend unmündigen Untertan einer Oligarchie auf EDV-Basis hinzunehmen. (Hoffmann 1979, S. 135)
Angst vor der Vereinfachung von Wahlbetrug und Manipulation durch den Einsatz von Datenbanken und vernetzten Großrechnern äußerten auch Malcom Warner und Michael Stone (1972, S. 206). Zeitgemäß[14] spielen Statistik und Rechengeschwindigkeit eine große Rolle, auch das Anhäufen von Informationen in Datenbanken, entsprechend die Befürchtung mangelnder Datensicherheit und der Blick auf die zentralisierte Macht der undurchschaubaren ExpertInnen. Zur Computerdemokratie heißt es bei ihnen: ,,Eine Regierung per unmittelbarem Referendum wäre möglich, aber dies bedeutet lediglich, daß sich auch die dümmsten Einfälle einer Minderheit oder einer Mehrheit gegen die langfristigen Interessen durchsetzen könnten - ohne eine Sekunde Bedenkzeit." (Warner und Stone 1972, S. 26). Bis auf die erhöhte Verarbeitungsgeschwindigkeit (nicht einmal eine Sekunde Bedenkzeit) nichts anderes als Befürchtungen, die auch gegen die nicht-elektronischen Varianten direkter Demokratie vorgebracht wurden und werden[15].
Bemerkenswert
finde ich, daß hier gesagt wird, daß Computerdemokratie zu
kurzfristigen Entscheidungen führe und langfristige Interessen aller
dadurch verletzt werden - während Haefner gerade im Einsatz von
Computerdemokratie eine Möglichkeit sieht ,,langfristig und im
Sinne des Gesamtsystems immer richtig zu entscheiden. Hierfür
scheint die Nutzung eines integrierten Systems, welches das Gesamtwissen eines
Volkes umfaßt und nutzbar macht, besser als das repräsentative
System" (Haefner 1984, S. 295; Hervorhebung im Original).
Er begründet diese Hoffnung damit, daß insbesondere
Bürgerinitiativen die neuen Möglichkeiten zur Willens- und
Meinungsbildung nutzen werden, und daß Parteien dann nachziehen werden.
Der Einfluß von ,,spektakulär agierenden Minderheiten" (im Sinne von
Macht- und Meinungseliten) werde zurückgehen. Zwei Mechanismen werden als
Ursache dafür genannt:
Das System der direkteren Demokratie wird insbesondere mehr Klarheit verschaffen über die für Sachfragen in der Bevölkerung wirklich vorhandenen Mehrheiten: Zum einen durch entsprechende Meinungsabgabe, zum anderen durch die Möglichkeit, mannigfaltige Sachinformation unmittelbar im Bildschirmtext-System verfügbar zu machen. Damit wird der Einfluß spektakulär agierender Minderheiten deutlich reduziert werden. (Haefner 1984, S. 296, Hervorhebung von mir)
Damit erklärt sich zum Teil bereits, warum Warner
und Stone zu einer ganz anderen Position kommen - sie gehen davon aus,
daß Freiheit durch ,,totale Information" eingeschränkt werden wird
und daß die im Netz abrufbaren Informationen eben gerade nicht
,,mannigfaltige Sachinformationen", sondern durch den Staat zensierte (und
manipulierte) Nachrichten sein werden. Abhilfe schaffen hier ihrer Meinung nach
nur strenge Datenschutzgesetzgebungen, der Einsatz von technischen
Sicherungsverfahren wie einer ausgeklügelten Kryptographie sowie ein
strenger Ethikkodex auf der Seite der DV-Fachleute.
Mir scheint, als ob Haefner zwei grundsätzliche Elemente von Politik im
Internet angesprochen hat: Die Meinungsabgabe - wie sie schon Berkeley mit
seinem Telefonzusatzgerät vorbringt -, verknüpft mit der
Möglichkeit zur unmittelbaren und vielfältigen Information im selben
Medium.
Bevor
ich versuche, die wichtigsten Ängste und Hoffnungen zusammenzufassen,
möchte noch einmal etwas ausführlicher auf Claus Eurichs Position
eingehen. Eurich erwartet vom verbreiteten Einsatz von Informations- und
Kommunikationstechnologien im politischen Bereich Einschränkungen der
Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit, eine wachsende Entfremdung von der
Umwelt und von sich selbst, sowie soziale und gesellschaftliche Passivität
und politische Apathie. (Eurich 1982, S. 106). In Bezug auf die
langfristigen Interessen stellt er sich auf die Seite von Warner und Stone; im
Gegensatz zu Haefner vermutet er alles andere als organische Selbstorganisation
durch Informationstechnologie - vielmehr befürchtet er, daß es zu
fehlender Flexibilität kommen werde und sich die IuK-Technologie letztlich
als dysfunktional für das gesamte gesellschaftliche System erweist. Die
Stör- und Krisenanfälligkeit der Gesellschaft nehme mit der
Ausbreitung komplexer Kommunikationstechnologien zu.
Eurich geht davon aus, daß der Einsatz von Informations- und
Kommunikationstechnologien sich negativ auf die gesellschaftliche Teilhabe
auswirken wird, da immer mehr Verwaltungsvorgänge rationalisiert und
automatisiert würden: ,,Wo Verwaltungsvorgänge programmiert ablaufen,
ist für Bürgerzugang, ja für Transparenz dieser Vorgänge
kaum Platz, selbst wenn man es wollte." (Eurich 1982, S. 104). Weiterhin
befürchtet er, daß das Verhältnis zwischen BürgerIn und
Regierung ein anonymes, entfremdetes Verhältnis wird, wenn beide Pole nur
durch Medien und Meinungsumfragen eben gerade nicht ,,verbunden" sind. Er nimmt
deswegen an, daß der Staat neue Kommunikationstechnologien zur Sicherung
der Massenloyalität einsetzen wird und folgert:
Man sollte diese Perspektive einmal mit der Vision verbinden, die durch elektronische Abstimmung jedes Bürgers eine Verbesserung und Effektivierung demokratischer Prozesse, eine über die Neuen Medien zu realisierende permanente Registrierung des Volkswillens und damit eine Erhöhung demokratischer Stabilität verheißt. Hier droht eine perfekte Symbiose zwischen dem Willen der Herrschenden, Informationen der Massenmedien und dem angeblichen Volkswillen zur Legitimation des Willes der Herrschenden. [...] was erschrecken macht, sind die Möglichkeiten, Emotionalisierung durch entsprechend aufgemachte Fernsehsendungen, über Charisma austrahlende Persönlichkeiten vor der Abstimmung zu betreiben, ist die Gefahr, daß notwendige langfristige Meinungsbildungsprozesse unzumutbar verkürzt werden und zu unüberlegten Entscheidungen führen können. (Eurich 1982, S. 105)
Wenn wir einmal von der Verkürzung der langfristigen Meinungsbildungsprozesse absehen, baut Eurichs Argumentation auf zwei zentralen Elementen auf: ,,den Herrschenden", die mit Hilfe der Medien emotionalisierte und aufgepuschte Debatten fördern werden, auf das der Volkszorn (und der entsprechende Finger auf dem Abstimmungsknopf) sich stets auf ihrer Seite befinde - und dem ,,Volk", das nicht in der Lage ist, charismatische Inszenierung zu durchschauen und Argumente nachzuvollziehen. Auch Helmut Krauch hat ähnliches gegen seine Ideen einer Computerdemokratie gehört, für die das beschriebene ORAKEL ja nur ein Experimentierfeld darstellte. Er entgegnet:
Die Bedenken gegen eine umfassende Beteiligung aller Bürger in einer Computer-Demokratie sind ernst zu nehmen, soweit sie sich auf die Bereitschaft und auf die Fähigkeit zum aktiven Mitwirken beziehen. Aber ist diese politische Unfähigkeit vieler Bürger denn naturgegeben oder ist sie nicht vorwiegend eine bedauenrswerte Folge falscher Behandlungen des Kindes im Elternhaus, in der Schule und später im Berufsleben? (Krauch 1972, S. 118)
Klaus Haefner legt ebenfalls großen Wert auf eine Reform des Bildungssystems und eine Förderung der politischen Beteiligung. Auch Jürgen Reese von der GMD argumentiert ähnlich, wenn er einen Staat beschreibt, der Eurich Negativutopie stark ähnelt, und die fehlende informationelle Kompetenz kritisiert:
Das Ergebnis politischer Entwicklung in die beschriebene Richtung läßt sich als technokratischer Versorgungsstaat charakterisieren, der zwar seine sozialen Aufgaben zum Schein perfekt löst, der auf der anderen Seite aber durch die Komplexität staatlicher Programme und durch die daraus folgende Intransparenz den Bürgern eine unentbehrliche Voraussetzung zur aktiven Teilnahme an der Willensbildung vorenthält: die Legitimation durch informationelle Kompetenz. (Reese 1979, S. 107)
Damit scheint sich der Bildungsstand und die informationelle Kompetenz der Bevölkerung sowie die Zugänglichkeit und Intuitivität des Kommunikationsmediums als ein weiteres Kriterium für den Erfolg einer elektronisch vermittelten direkten Demokratie herauszuschälen.
Während
anfangs noch die mathematisch-technischen Fähigkeiten der
,,Elektronengehirne" - und verbunden damit die Ängste vor der ,,Verdatung"
und vor der zentralen Informationsmonopolisierung - die Debatte bestimmen,
entwickelt sich aus ersten Ideen einer per Telefonnetz und Zentralcomputer
durchgeführten Meinungsumfrage parallel zur zunehmenden Konvergenz von
Fernsehen, Telefon und Computer - in einer ersten Instanz etwa in Form von BTX
- die radikalere Idee, auch tatsächliche Abstimmungen und Entscheidungen
mit Hilfe elektronisch vermittelter Kommunikation durchzuführen. So soll
die Politik und die Beteiligung der BürgerInnen mit dem wirtschaftlichen
und wissenschaftlich-technischen Stand der Vernetzung gleichziehen und ein
ebenbürtiges Gegengewicht dazu bilden. Damit verbindet sich die Hoffnung,
die ,,Übergangslösung" repräsentative Demokratie ,,endlich
wieder" teilweise oder ganz durch eine direkte Beteiligung aller zu ersetzen -
nach dem großen Vorbild der athenischen Agora.
Von den Kritikern wird dagegen einerseits die direkte Demokratie selbst in
Frage gestellt (hier vertreten durch die Debatte um die langfristigen
Entscheidungen), andererseits werden einige stärker mit dem elektronischen
Medium verbundene Punkte geäußert. Computerdemokratie sei
eine bloße ja/nein-Demokratie ohne gestalterische Mitbestimmung, die
Möglichkeit zur Manipulation sei stark gegeben, die Herrschenden
würden dies zur Legitimation über einen in Wahrheit manipulierten
,,Volkswillen" mißbrauchen und die Gesellschaft würde schwer- bzw.
störanfälliger.
Als Kriterien für eine sinnvolle Computerdemokratie scheinen sich
demnach eine Nutzung der Bidirektionalität des elektronischen Mediums -
die Möglichkeit des Rückfragens, das Vorhandensein von Information
aus vielen verschiedenen Quellen (vielleicht auch die einfache Möglichkeit
der Meinungsäußerung und Debatte im Abstimmungsmedium), der
technisch-soziale Schutz vor Manipulation, Fälschung, Zensur und der
Datensammlung/Profilbildung, die Bildung der entsprechenden Kompetenz bei der
Bevölkerung sowie die Erhaltung der gesellschaftlichen Robustheit und
Flexibilität herauszukristallisieren. Diese Kriterien sollen jetzt auch
den Maßstab bilden für die Beschreibung der Fallbeispiele von
Politik im Internet. Nicht immer sind alle Kriterien sinnvoll zur
Beschreibung aller Fallbeispiele - schließlich geht es dabei nicht um von
heute auf morgen auf die Gesamtgesellschaft übertragbare
Cyberdemokratie-Modelle, sondern um bereits existierende Elemente einer
Politik im Internet, die möglicherweise eines Tages einzelne
Facetten einer sich verwirklichenden Computerdemokratie bilden werden.
Ein weiteres wichtiges Kriterium muß noch erwähnt werden: Welche
Rolle spielt das jeweilige Element für das politische System, wie stark
beeinflußt es die dortigen Entscheidungen?
Zurück zu den 90er Jahren. In diesem Teil der Arbeit sollen als Fallbeispiele typische Bestandteil dessen vorgestellt werden, was heute schon Politik im Internet genannt werden kann. Ich habe versucht, möglichst viele Bereiche aus diesem relativ unübersichtlichen und vielfältigen Feld zu repräsentieren. Dabei habe ich mich natürlich auch am verfügbaren Material orientiert. Herausgekommen sind schließlich vier verschiedene Fallbeispiele: (1) Wie nutzen Bürgerinitiativen und NGOs das Netz? Erleichtert elektronische Kommunikation die Entstehung sozialer Bewegungen? (2) Die Vernetzung der Unistreiks im Winter 1997 als Beispiel für eine maßgeblich auch im Netz stattfindende politische Aktivität. (3) Der US-Präsidentschaftswahlkampf 1996 wurde auch im Internet gewonnen, heißt es. Wie sieht es bei den deutschen Parteien mit Webseiten, Wahlkampf und virtuellen Aktivitäten aus? Und schließlich: (4) Welche partizipativen Elemente gibt es heute schon im kommunalen Bereich der Stadt- und Bürgernetze?
,,Dial
locally, act globally", zitiert Andreas Grote (1997, S.83) als das Motto
des internationalen Computernetzes APC, das ich hier als Beispiel für die
Nutzung des Internets durch Soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen und
non-governmental organizations vorstellen möchte. Hinter APC
verbirgt sich die 1987 aus mehreren nationalen Mailbox-Netzwerken entstandene
Association for Progressive Communications, ein Zusammenschluß von
20.000 ComputernutzerInnen[16] in 94
Ländern. Genutzt wird APC insbesondere von international agierenden
non-governmental organizations wie Greenpeace, amnesty
international, den Friends of the Earth[17] und ähnlichen Gruppen. Zur Zeit arbeitet APC
daran, die Vernetzung in Afrika und Südamerika voranzutreiben.
APC bietet seinen NutzerInnen neben im Internet gültigen eMail-Adressen
vor allem APC-internen-Diskussionsforen[18] zu
den verschiedensten Themen aus den Bereichen Frieden, Umwelt, Menschenrechte,
Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Entwicklung. Einige der
nationalen APC-Knotenpunkte bieten außerdem selbst Informationen im WWW
an oder stellen zu günstigen Bedingungen Webspace für
Initiativen und Organisationen zur Verfügung[19]. Durch die APC-spezifische ,,Low-Tech" können auch
ältere Personalcomputer zur Teilnahme am APC-Netz genutzt werden.
Weiterhin wurden der Menschenrechtsgipfel 1993 und die Weltfrauenkonferenz 1995
in Peking von APC kommunikationstechnisch betreut. (Grote 1997; vgl. zur
genauen Beschreibung der Nutzung des Internets durch NGOs bei der
Weltfrauenkonferenz auch Greve 1997)
Auf lokalerer Ebene gilt ähnliches für das zumeist deutschsprachige
/CL-Netz, das Deutschland, Österreich, die Schweiz und Ex-Jugoslawien
vernetzt. APC und /CL werden häufig in lokalen Mailboxen gemeinsam
angeboten, so etwa in der Freiburger 3Landbox, die Zugriff auf das
Angebot beider Netze anbietet. Zugleich sind Freiburger Bürgerinitiativen
NutzerInnen der 3Landbox und stellen als solche selbst Informationen ins
Netz. Darüber hinaus sind über die 3Landbox auch Netze von
Parteien (/GRUENE, /PDS, /SPD) und Gewerkschaften (/SOLINET) zugänglich.
Was bringt die elektronische Vernetzung den NGOs? Peter Lokk vom /CL-Netz sieht
in ,,Computer[n] und Netze[n] einfach Strukturverstärker, schlicht ein
Mittel zur besseren Kommunikation." (Interview in Grote 1997, S. 85).
Sein Kollege Udo Schacht-Wiegand (APC) glaubt, daß ...
... durch die Computernetze neue Qualitäten des Informationsaustausches gegeben sind, die sich mit Telefon und Fax nicht lösen lassen. Ob der technische Aufwand im Vergleich zum Nutzen letztendlich gerechtfertigt ist, darüber kann man nur philosophieren. (ebenda)
Andreas Grote nennt einige Beispiele für diese neuen Qualitäten:
Selbst die eher technikskeptischen Umweltgruppen schätzen inzwischen die Vorteile des Mediums Computer. Protestaktionen werden länderübergreifend über Computernetze organisiert, Aufrufe verbreitet, Zensuren in diktatorischen Ländern durch das Dickicht der Datenautobahnen umgangen. Die elektronische Post hat hier einen großen Vorteil, den eine EMail über Telefonleitung und Satellit ist schneller, zuverlässiger und oft billiger als der Postweg. (Grote 1997, S. 82)
Dadurch wird einerseits die Arbeit von über große räumliche Entfernungen hinweg kooperierender NGOs erheblich vereinfacht; ,,kurzfristige Aktionen oder Aufrufe [...] werden über interne Konferenzen im Netzwerk vorbereitet, denn [...] EMail ist schneller und zuverlässiger als der Postweg" (Grote 1997, S. 83). Andererseits wollen die Netze auch ,,[d]as Bedürfnis nach Nachrichten, aktuellen Recherchen und nach einem Archivsystem erfüllen und so »Öffentlichkeit für soziale, politische und kulturelle Themen schaffen«." (Grote 1997, S. 84). Als Teil dieser Öffentlichkeit kann so die politisch interessierte BürgerIn über die alternativen Netze schnell Gleichgesinnte, ExpertInnen und Wissen finden. Hier gilt, was Lorenz Gräf zur Bereitstellung sozialen Kapitals durch Online-Gemeinschaften schreibt:
Durch die Teilnahme an gemeinschaftlich organisierten Online-Aktivitäten ergeben sich Kontaktmöglichkeiten und Ressourcen, wie sie im wirklichen Leben nur durch ein großes Netz persönlicher Beziehungen verfügbar sind. [...] Online-Gemeinschaften sind [...] noch weitgehend unverstanden. [...] Es scheint aber sicher, daß trotz des offenen Zugangs für jeden und der jederzeitigen Austrittsmöglichkeit der Individuen genügend Gemeinschaftsgeist und [...] Solidarität entwickelt werden, um Unterstützung bei der Informations- und Ratssuche (knowledge support) sowie emotionale Unterstützung zu ermöglichen. (Gräf 1997, S. 117)
Gräf beschreibt als durch die Online-Vergemeinschaftung hervorgerufene Makroeffekte unter anderem die Vereinfachung der Organisation sozialer Bewegungen:
In Gesellschaften, die durch eine hohe interne Online-Präsenz ihrer Mitglieder gekennzeichnet sind, können soziale Bewegungen, Kampagnen und Selbsthilfegruppen leichter organisiert werden. [...] Zusätzlich verbreitert sich mit den neuen Medien das organisierbare Protestpotential. Die Möglichkeit, Protest auszudrücken, erweitert sich um Formen der elektronischen Kommunikation [wie etwa das Versenden von Protest-EMails]. [...] Für die Organisation sozialer Bewegungen ergeben sich insgesamt deutlich geringere Transaktionskosten. Als Konsequenz vermuten wir daher eine Zunahme von Versuchen, Protest in der Form einer sozialen Bewegung zu organisieren. (Gräf 1997, S. 120 f.)
Auch Dorothee Greve geht in ihrer Untersuchung über die Nutzung des Internets bei der Weltfrauenkonferenz davon aus, daß ,,eine allmähliche Verschiebung von Machtdifferentialen zugunsten von sozialen Bewegungen und ihrer Idee einer globalen Zivilgesellschaft stattfinden kann." (Greve 1997, S. 301 f.). Ihre Arbeitshypothese, daß die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel durch NGOs Auswirkungen auf die bei der Weltfrauenkonferenz verabschiedete Aktionsplattform hatten, kann sie jedoch am Schluß ihrer Untersuchung nicht bestätigen:
Eine direkte Kommunikation zwischen NGOs und Delegierten über die Aktionsplattform konnte in öffentlich zugänglichen Foren nicht beobachtet werden. Daher läßt sich wenig darüber sagen, ob der Einsatz elektronischer Kommunikation einen direkten Einfluß auf abschließende Politikentscheidungen hatte. (Greve 1997, S. 302)
Fazit: Das APC-Netz als Beispiel für die
Nutzung des Internet durch soziale Bewegungen scheint den im ersten Teil
gefundenen Kriterien auf den ersten Blick zu entsprechen. APC ist ein stark
dialogorientiertes, bidirektionales Netz[20]
mit der Möglichkeit zu äußerst differenzierter
Meinungsäußerung und zur Einholung mannigfaltigster
Sachinformationen. Eine Zensur findet weitestgehend nicht statt[21], und die Beschränkung auf einen relativ niedrigen
technischen Standard sorgt für Robustheit und Flexibilität zumindest
des Netzes. Allerdings fehlt dem APC eine Anbindung an den etablierten
politischen Raum - die differenzierte Debatte dient der eigenen Meinungsbildung
und Organisation, die eigentliche politische Aktion muß dann aber doch
außerhalb des Netzes stattfinden[22].
Schon aus Zeitgründen[23] wird das Netz
nur von wenigen MandatsträgerInnen genutzt, intern ist es stark
fragmentiert (wer sich für /CL/WASSER/AKTIONEN interessiert, liest nicht
unbedingt auch /CL/GLAUBEN/ATHEISMUS) und schmort teilweise im eigenen Saft.
Netze wie das APC-Netz könnten allerdings als ein Element von Politik
im Internet verstanden werden, das z.B. ein Modell der elektronischen
Stimmabgabe um die dort fehlende Sachinformationen und Debattenmöglichkeit
erweitert. Diese Ergänzungsfunktion gilt aber genauso heute schon, wo das
APC-Netz die Tagespolitik der Medien und Wahlurnen um häufig fehlende
Hintergrundinformation und den Meinungsaustausch mit Menschen mit
ähnlichen Interessen ergänzt. So betrachtet stellen alternative
Kommunikationsnetze zwar einen Faktor der Beschleunigung, Globalisierung und
auch der Erleichterung bestimmter Teile der politischen Arbeit und
Organisationsform sozialer Bewegungen dar, bieten in quantitativer Hinsicht
also deutliche Verbesserungen gegenüber dem vor-elektronischen Zustand. Ob
diese Erhöhung der Quantität qualitative Veränderungen wie einen
höheren Stellenwert sozialer Bewegungen im politischen System mit sich
bringt, möchte ich bezweifeln. Allerdings kann die schnelle Ausbreitung
des Studierendenstreiks im Winter 97/98, die teilweise mittels und dank
elektronischer Medien stattfand, möglicherweise als Beispiel für die
Zunahme der Organisationsform ,,soziale Bewegung" dank geringeren
Transaktionskosten gesehen werden, wie es etwa Gräfs Argumentation
nahelegt[24].
Das Aufbegehren der Studierenden weist in seinem Protestrepertoire eine Vielzahl von Kriterien auf, die üblicherweise zur Beschreibung sozialer Bewegungen verwendet werden. Neu ist jedoch, daß erstmals interaktive Medien zum integralen Bestandteil in der Dramaturgie des Protests avancieren und so betagte Protestformen der 68er-Generation aktualisiert wurden. Dabei führte die Nutzung dezentraler Kommunikationsinfrastrukturen der Computernetze zu einem gelungenen »issue-placement« in der politischen Öffentlichkeit der »alten« Medien. (Bieber/Hebecker 1998[25])
Christoph Bieber und Eike
Hebecker, beide Doktoranden an der Justus-Liebig-Universität Gießen,
haben kurz nach Ende der Unistreiks in einem Artikel in der Online-Zeitschrift
Telepolis analysiert, welche Rolle die Netzinfrastruktur als
Kommunikationsmittel für die streikenden Studierenden gespielt hat.
Daß das Netz für den Streik von Bedeutung war, zeigen bereits die
Zugriffsstatistiken der studentischen Onlineangebote: ,,die
Hochschulrechenzentren verzeichneten in den Monaten November und Dezember
exponentielle Nachfragesteigerungen für die Online-Angebote"
(ebenda). Auch das Einklinken ,,arrivierter Trittbrettfahrer" in die
Netzberichterstattung[26] macht die
Verknüpfungen zwischen Netz und Ereignischarakter deutlich.
Als während des ,,Protests im Datenraum" eingesetzte Kommunikationsmittel
nennen Bieber und Hebecker Mailing-Listen, die als ,,virtuelle Streikzentrale"
fungierten, einen eigenen Internet-Relay-Chat-Kanal #streik sowie
vielfältige WWW-Seiten, die verschiedenen Zwecken dienten: Genannt werden
einerseits aktionsunterstützende Sites, die etwa die eMail-Adressen der
zuständigen PolitikerInnen und vorgefertige Beschwerdebriefe enthielten,
oder auch als Basis für Dauervorlesungen dienten. Andererseits gab es
umfangreiche Datensammlungen über den Streik selbst, mit Chroniken,
Presseberichten, Artikeln aus Streikzeitungen und auch mit Bildmaterial[27], Audio- und Videodateien sowie auch
Sammlungen von Hintergrundmaterial wie etwa dem Text des neuen
Hochschulrahmengesetzes. Die WWW-Seiten zum Streik an den verschiedenen
Hochschulen (meist eingerichtet auf den Homepages von Fachschaften und
ASten) wurden umfangreich miteinander verlinkt und an zentralen Stellen im
Namensraum des Internet wie
http://www.streik.de[28], http://www.studentenproteste.org und
http://www.uni-streik.de zusammengeführt, um so ein flächendeckendes
Netzwerk zu errichten. Einheitliche Logos auch auf privaten Homepages
symbolisierten Identifikation oder Solidarisierung mit den Protesten.
In ihrer Untersuchung kommen Bieber und Hebecker unter anderem zu dem Ergebnis,
daß dieses Aufgebot an virtuellen Protestformen einerseits ein Mittel zur
Vernetzung im klassischen Sinne darstellt, und andererseits eine neue Form
öffentlichen Protests bildet. Zur internen Vernetzung der Bewegung
läßt sich sagen, daß das studentische Milieu generell
überdurchschnittlich stark ans elektronische Netz angebunden ist. ,,Der
digitale Austausch zwischen den Hochschulen ist so neu nicht, viele Gremien der
studentischen Selbstverwaltung präsentieren sich schon lange im WWW
[...]"[29] (ebenda). Mit hoher
Medienkompetenz sowohl auf der Anbieterseite als auch auf der Nutzerseite wurde
schnell ein über große Teile der Republik ausgedehntes Netzwerk
errichtet - mit Abzweigungen bis nach London. Wie für Gesellschaften mit
hoher interner Online-Präsenz postuliert (und für die StudentInnen
gilt das sicherlich), erleichtern die elektronischen Netze die Organisation
sozialer Bewegungen (vgl. Abschnitt 2.1). ,,Dezentraler Aufbau und starke
Vernetzung korrespondieren dabei offenbar mit den Bedürfnissen des
kollektiven Akteurs, der einer stetiger Selbstvergewisserung bedarf und dabei
gleichzeitig mobilisierendes Potential freisetzen kann." (ebenda).
Der andere Faktor liegt in der Nutzung des Netzes zur Darstellung des Protests
in der Öffentlichkeit. Hier ist zum einen die Wechselwirkung mit
professionellen Netzakteueren wie etwa den Anbietern von Suchmaschinen zu
nennen, die im Interesse hoher Zugriffszahlen auf die bei ihnen geschalteten
Werbegrafiken Themen mit zu erwartendem starkem Interesse - wie hier den
Studierendenstreik - an prominenter Stelle plazierten[30]. Dadurch wurden gleichzeitig auch ,,entlegene"
Streikangebote (im Sinne nicht-intuitiver Netzdomains wie
http://www.fs.maschinenbau.tu-darmstadt.de/streik/) in das Licht der
Netzöffentlichkeit[31] gerückt - das
führt zu weiterer Mobilisierung. Zudem wirkt die starke Präsenz im
neuen Medium auf die alten Medien zurück:
Aufgrund des immer noch hohen Nachrichtenwertes Internet-bezogener Ereignisse funktioniert die studentische Online-Kampagne als ein Relais zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten: Über die virtuose Nutzung des [...] Internet findet der studentische Protest verstärkten Eingang in die alte Medien [...]. Die Besetzung des öffentlichen Raums der Datennetze [...] zieht ähnlichen Aufmerksamkeitsgewinn nach sich wie die klassische Protestform der Demonstration auf Bonner Boden. (ebenda)
Bieber und Hebecker sehen die virtuellen
Protestformen als komplementär zu den klassischen körperbezogenen
Protestformen an. Sie vermuten im Studierendenprotest mit seiner Nutzung und
Erfindung neuer Protestformen einen ,,evolutionäre[n] Sprung im Zuge eines
Generationswechsels." (ebenda). Dieser Sprung wird ermöglicht durch
die ,,neuen Medien" in einer ,,Mixtur aus mobilisierungsförderndem Thema,
hohem Vernetzungsgrad [des studentischen Milieus, T.W.] und avancierten
Aneignungsformen" (ebenda), die als demokratisierend empfunden wird.
Auch hier zeigt sich, daß das Netz besonders im Bereich Information,
Debatte (Mailinglisten, IRC-Kanäle) und differenzierter, nicht zensierter
Meinungsäußerung punkten kann. Allerdings ,,bestehen noch immer zu
wenige Schnittstellen, die einen Transfer von Online-Aktivitäten in
»materielle« Politikprozesse erlauben - im Zweifelsfall zieht die
Politik den Netzstecker und ignoriert die Stimmen aus der Tiefe des
Datenraums." (ebenda). Derartige Schnittstellen sind vielleicht im
virtuellen Auftreten klassischer politischer Akteuere - z.B. Parteien - und in
der Schaffung partizipativer Elemente (etwa in Bürgernetzen) zu finden.
Seit der Internetboom seinen Weg in die Tageszeitungen gefunden hat, haben auch die Parteien[32] die Netzpräsenz als wichtige Plattform entdeckt. Alle auf Bundesebene aktiven Parteien sind im WWW vertreten, ebenso die meisten ihrer Teil- und Nebenorganisationen[33] und zunehmend auch Landes- und Kreisverbände und sogar örtliche Parteigliederungen. Auf Bundes- und Landesebene dominieren dabei professionelle, meist von Werbeagenturen nach der corporate identity der Partei gestaltete Seiten, während die Angebote vieler örtlichen Gliederungen häufig von engagierten Parteimitgliedern ehrenamtlich gepflegt werden. Entsprechend ändern sich auch die Adressen von großen eigenen Domains hin zu Einzelseiten bei Massenanbietern wie T-Online oder AOL.
»Brav und zurückhaltend« seien die Web-Sites der deutschen Parteien im Vergleich zu dem, was die Politik in den USA, Großbritannien oder Japan bietet, urteilt Paulus Neef, Chef der renommierten Agentur Pixelpark [...]. Im Ausland treffe man viel öfter auf einen »spielerischen Umgang mit Grafiken, Buttons, Backgrounds«. [...] Doch die Internet-Betreuer der deutschen Parteien wollen herausgefunden haben, daß die Internettis sich weniger für originelle Gestaltung und zündenden Witz interessieren als für Information und Diskussion. (Tillack 1998, S. 36f.)
Trotz diesem Setzen auf Information und Interaktivität statt auf grafische Finessen - hier beschrieben im neuen Netzgefühlsableger der Zeitschrift Stern, Konr@d - ähneln die meisten ,,Virtuellen Parteizentalen" (Bieber 1996) momentan noch eher der Umsetzung von Werbebroschüren in ein weiteres Medium durch die parteiinterne Öffentlichkeitsarbeit. Bieber meint dazu, ...
... daß der Aufbruch in die schöne neue Datenwelt nicht unbedingt von dem Wunsch nach Verwirklichung demokratischer Ideale angetrieben wird. Die enormen Mengen politischer Bits und Bytes dienen häufig nur einem Ziel: Marketing im Megabyte-Format. (Bieber 1996, S. 148)
Inhaltlich finden sich auf den Seiten der Parteien vor allem Informationen zu Programm, Organisationsformen und aktuellen Aktivitäten sowie Archive mit einer ,,Auswahl von Parteigrundsätzen, Diskussionspapieren, Reden, Presseerklärungen oder Zeitungsmeldungen." (Bieber 1996, S. 152). ,,Die vielzitierte Interaktivität beschränkt sich auf die Wähler- bzw. Mitgliederwerbung, virtuelle Parteizentralen sind daher nichts anderes als immerwährende Wahlveranstaltungen." (ebenda). Er kommt zu dem vernichtenden Schluß:
Auf digitalem Glanzpapier gibt sich vor allem eine verkaufstypische Top-to-bottom-Kommunikation mit klar verteilter Sender- und Empfängerrolle zu erkennen. [...] Die [...] eifrig herumgereichte Formel »Politik + Internet = mehr Demokratie« greift unter diesen Umständen nicht. [...] Der Zugriff auf politisches Datenmaterial im Internet suggeriert den Usern das Gefühl eigener Wichtigkeit. In Wirklichkeit aber verdeutlicht das [...] Sender-Empfänger-Verhältnis nichts anderes als das auch weiterhin vorhandene Ungleichgewicht der Macht. [...] Den Informationsempfängern bieten sich zwar mehr (Rezeptions-)Optionen, der Zugriff auf die Ausgestaltung des Angebots selbst bleibt [...] verwehrt. [...] Erst wenn computervermittelte politische Kommunikation auf die Möglichkeiten einer Viele-an-viele-Kommunikation eingeht, könnte das Internet als Katalysator zur Qualifizierung politischer Prozesse wirken. (Bieber 1996, S. 154 f.)
Sind Parteien heute wirklich nur
zum Zwecke der Verfeinerung politischen Marketings mit dem Endziel der
Virtualisierung der Politik im Datenraum vertreten? In dem aktuellen
Konr@d-Artikel werden besonders die mal mehr, mal weniger stark moderierten
,,Chat-Ecken" und Diskussionsforen auf den Seiten der Parteien als gut besucht
genannt. Zumindest bei der SPD existiert das Diskussionsforum erst seit Herbst
1997 - und auch hier gilt das von Bieber bemängelte gut versteckte
Machtgefälle: Die zu diskutierenden Themen legt die Partei fest. Anders
bei der CDU, deren Diskussionsforum schon etwas länger existiert. Jede
NutzerIn darf hier die Themen selbst bestimmen - ,,links- oder rechtsradikales
Gedankengut" (Tillack 1998, S.37) wird allerdings nicht geduldet.
http://www.ndr.de:8097/wahlnds/whiteapplet.html
Ganz kurz möchte ich jetzt noch auf Partizipationsmöglichkeiten durch Bürgernetze eingehen. Diese befinden sich - was partizipative Elemente angeht - heute meist noch im Stadium experimenteller Projekte. Zwar wird zur Zeit der Aufbau kommunaler Informationssysteme massiv propagiert (etwa in Bayern durch das Landesprogramm Bayern Online), aber diese zielen vorrangig auf die Präsentation gegenüber BürgerInnen und TouristInnen, dienen als Serviceangebot (Fahrplan- und Tarifauskunft, elektronisches Bürgerbüro) sowie als Werbung für den Wirtschaftsstandort. Beispielsweise taucht in einem umfangreichen Artikel in der Zeitschrift Die Gemeinde über die Einrichtung kommunaler Webseiten die Politik nur an einer Stelle kurz auf:
So kann der Rat einer Stadt oder Gemeinde im Internet auf verschiedene Weise vorgestellt werden. [...] Der Name jedes einzelnen Ratsmitglieds könnte als Link zu einer entsprechenden Kurzbiographie gestaltet sein. Dieses sollte neben biographischen Daten Auskunft geben über die Mitgliedschaft in Fachausschüssen, sonstigen Gremien und über politische Schwerpunkte. Es bietet sich an [...] ein eingescanntes Foto des betreffenden Ratsmitglieds zu zeigen. Eine interessante Idee ist es, für jedes Ratsmitglied gleich einen elektronischen Briefkasten einzurichten. Über E-Mail hätten dann die Bürger die Möglichkeit, bestimmte Fragen oder Anregungen an das Ratsmitglied zu richten. (Hamacher 1997, S. 874)
Das
hier vorgestellte Verfahren entspricht in etwa dem vom Bundestag
durchgeführten und ist als erster Ansatzpunkt ja durchaus brauchbar.
Allerdings scheint es über den Vorstellungshorizont der meisten Kommunen
hinauszugehen, daß BürgerInnen eventuell nicht damit zufrieden sind,
,,ihrem" Ratsmitglied die Meinung zu mailen, sondern daß einerseits auch
die aktuellen Beratungsgrundlagen des Gemeinderats ins Netz gestellt werden
könnten, und daß andererseits weit über die bloße
Rückantwort hinausgehende Partizipationsverfahren möglich sind -
selbst dann, wenn die Entscheidungsgewalt beim Gemeinderat bleibt:
Die britische Gemeinde Brent - ein selbständiger Londoner Stadtteil mit
ca. 230.000 EinwohnerInnen - zeigt auf ihrer umfangreichen Webseite nicht nur
Daten zu Geschichte, Bevölkerungszusammensetzung, Events und
Sehenswürdigkeiten, sondern bietet unter dem Stichwort ,,Local Democracy"
auch umfangreiche Informationen zu Funktion, Zusammensetzung und Terminplan des
Gemeinderats und seiner Ausschüsse sowie zu den örtlichen
Abgeordneten an. Außerdem ist der Haushaltsplan abrufbar, und es ist
genau beschrieben, wie Petitionen an den Gemeinderat gerichtet werden
können - auch per eMail. Insbesondere aber sind hier zwei Pilotprojekte
zur elektronischen Demokratie zu finden: Im Januar 1997 wurde die Meinung der
BürgerInnen zum Haushaltsplan 97/98 erfragt: Wie hoch soll die
Gemeindesteuer ausfallen, welche kommunalen Dienstleistungen werden für
wichtig gehalten? Dies geschah einerseits konventionell über Stimmzettel,
die an die Haushalte verteilt wurden, andererseits jedoch durch ein
WWW-Formular, in dem der Wunschsteuersatz sowie die Zuteilung zu den einzelnen
kommunalen Aufgaben eingestellt werden konnte, und mit dem zugleich Kommentare
zum Haushalt an die Stadtverwaltung und den Gemeinderat gerichtet werden
konnten. Die Ergebnisse dieser Bürgerbefragung sowie die Online-Debatte
dazu wurden elektronisch archiviert und sind einsehbar. Das zweite -
anscheinend weniger erfolgreiche - Projekt befaßt sich mit der Lokalen
Agenda 21, zu der die lokalen Behörden in Großbritannien Pläne
erstellen müssen. Auch hier sind die BürgerInnen aufgefordert,
offline und online ihre Meinung mitzuteilen und über verschiedene auf die
Lokale Agenda bezogene Themen zu diskutieren. Während bei der
Haushaltsberatung immerhin 12% der Antworten online eingegangen waren und die
archivierte Debatte recht umfangreich scheint, zeigt sich in den
Diskussionsforen zur Agenda gähnende Leere. (Municipia 1997, S. 3;
http://www.brent.gov.uk).[38]
In diesem Pilotprojekt scheint es tatsächlich gelungen zu sein, eine klar
definierte Zielgruppe - die EinwohnerInnen von Brent - über das lokale
Stadtinformationssystem an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Das Online-Projekt zum Haushalt scheint die meisten der im ersten Teil
genannten Kriterien zu erfüllen: Es hatte tatsächlichen Einfluß
auf das politische System (auch wenn die Ergebnisse der Haushaltsbefragung
für den Gemeinderat nicht bindend waren) und ermöglichte
Rückfragen und Debatten. Die Abstimmung konnte per Ankreuzen erfolgen,
konnte aber auch durch Kommentare ergänzt werden. Zugleich wurden auf der
Webseite Daten über Steueraufkommen und Finanzstruktur der Gemeinde und
der umliegenden Londoner Bezirke, über den Haushalt und über die
verschiedenen Ausgabengebiete angeboten. Neben diesen Kriterien scheint es
für den Erfolg des Projekts wichtig gewesen zu sein, daß es hier um
den konsultativen Bereich der Politik ging - was z.B. die Gefahr eines
Mißbrauchs und die Notwendigkeit strenger Kontrollen deutlich reduzierte,
und daß die Möglichkeit der Online-Abstimmung alternativ zur
konventionellen Abstimmung per Wahlurne angeboten wurde. Vielleicht kommt noch
dazu, daß es ,,um etwas ging" - schließlich beeinflußte das
Ergebnis die kommunale Steuer.
Wenn ich die in diesem Teil verstreuten Puzzlestücke zusammensetze, ergibt sich für mich folgendes Bild: (1) Computervermittelte Kommunikation scheint sich zumindest innerhalb entsprechender Milieus gut zur Mobilisierung, internen Organisation und Identifikationsstiftung politischer Gruppen nutzen zu lassen. Dies zeigt das Beispiel des APC, des Unistreik und auch der Blick auf die Vernetzung der Parteien. Die Netznutzung erhöht folglich die politische Handlungsfähigkeit real existierender Organisationen. (2) Wird das Internet als ganzes betrachtet, so finden sich dort heute schon vielfältigste Sachinformationen und ExpertInnen. Das Spektrum reicht von Gesetzentwürfen und Landtagsdrucksachen über Parteiprogramme bis hin zu Datensammlungen der non-governmental organizations und Universitäten. Der Zugriff auf diese Informationen und der Kontakt zu den Fachleuten ist deutlich bequemer als in real life, die Schwelle liegt niedriger. Das Netz kann so dazu genutzt werden, sich schnell und umfangreich zu informieren. (3) Ebenso gibt es vielfältige Möglichkeiten zur Debatte in Diskussionsforen und Mailinglisten und zur Meinungsäußerung per eMail an politische Akteure. (4) Was dagegen zumeist noch fehlt, sind echte Mitbestimmungsmöglichkeiten und Kombinationen von Sachinformationen mit Diskussionsforen und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Es gibt erste Ansätze beratenden Charakters (Netz-Meinungsumfragen, das Pilotprojekt in Brent), aber so gut wie keine Versuche, Abstimmungen und Wahlen mit Auswirkungen auf das real life elektronisch durchzuführen.
Nach
den konkreten Beispielen aus der Vergangenheit und Gegenwart soll es jetzt um
einen Zugriff auf die computervermittelte Kommunikation aus soziologischer
Sicht gehen. Martin Rost (1997, S. 23-33) beschreibt Computernetze wie
das Internet als großtechnische Systeme. Danach ist das Internet
als großtechnisches System ein Teil eines gesellschaftlichen
Techniksystems, daß sich womöglich als Sozialsystem im Luhmannschen
Sinne begreifen läßt. Aus dieser Sicht interessiert sich Rost
besonders für die übereinanderliegenden Protokolle des
Internet, die er als Modus der Koppelung des Internets an seine Umwelt
beschreibt. In diesem Sinne beschreibt er das Internet als eine weitere
funktionale Differenzierung von Gesellschaft, in der weiterhin Entscheidungen
an Entscheidungen anschließen - etwa im ,,computernetzgestützten
Verwaltungs- und Abstimmungsverfahren" (Rost 1997, S. 29) -, wobei
der spezifische Sinn dieser Anschlüsse erhalten bleibt, die Kommunikation
jetzt aber schneller und in neuen Organisationsformen verläuft.
Diese neuen Organisationsformen beschreibt Rost als Auflösung der
,,althergebrachten Kopplungen von Raum, Zeit und Funktionen, wie sie bislang
für organisierte Kooperationen vorausgesetzt werden mußten" (Rost
1997, S. 30) und als ihre technische Neu-Anordnung, die beispielsweise zu
einem Zwang der Rollenexplikation und so zur Freisetzung latenter Konflikte
führen kann. Als weitere gesellschaftliche Folgen dieser Um-Organisation
vermutet Rost die Zunahme von Legitimation über den Nachweis von
Funktionalität und Leistung. Weiterhin nennt er im Zusammenhang des
Globalisierungsdiskurses, bezogen auf Informationstechnologien, Tendenzen zur
gleichzeitigen Fragmentierung und Integration durch Computernetze und fragt
danach, ,,welche zum Beispiel spezifisch neuen Politisierungspotentiale durch
Computernetze weltweit aktiviert werden." (Rost 1997, S. 32f.).
Hans-Jürgen Weißbach und Andrea Poy (1995, S. 232)
beschreiben das Internet dagegen als typische Durchdringung verschiedener
gesellschaftlicher Subsysteme, das so einen eigenständigen Kulturraum mit
spezifischem Kommunikationsstil bildet und keinem großen Funktionssystem
(im Sinne Parcotts) zugerechnet werden kann, sondern als Interpenetration die
Möglichkeit von Individuen steigert, zugleich an mehreren räumlich
und sozial voneinander getrennten Systemen (etwa Politik vs. Alltagswelt)
teilzunehmen. Es eröffnet damit die Chance für neue Querschaltungen.
Der schon erwähnte Lorenz Gräf (1997) schließlich sieht
das Internet im Rahmen einer Theorie sozialer Netzwerke, wonach das Individuum
durch ein soziales Netzwerk aus Kommunikations- und Interaktionspartnern in die
Gesellschaft eingebunden ist. Das um eine Person herum zentrierte
persönliche Netzwerk konstatiert deren persönliche
Öffentlichkeit und deren soziales Kapital. Das Internet betrachtet
Gräf nun als neuartigen sozialen Raum, der diese sozialen Netzwerke
erweitert und strukturell verändert. Die diesen Raum erzeugende
computervermittelte Kommunikation hat sechs besondere Kennzeichen: Sie ist
asynchron und nicht raumgebunden, sie findet entkörperlicht statt,
arbeitet mit einer limited bandwidth (Texte, Einschränkung der
Signaldichte), läßt Statusrückschlüsse nur stark
eingeschränkt zu und kann schließlich auch anonym sein. Aus den
Kombinationen dieser Eigenschaften heraus kommt er auf die wahrscheinlichen
Veränderungen der sozialen Netzwerke: Der Kernbereich des
persönlichen Netzwerks wird durch das Internet nicht ersetzt, aber
stabilisiert, da die Kontaktpflegen zu engen Freunden und zu nahen Verwandten
erleichtert wird. Für das erweiterte persönliche Netzwerk
prognostiziert Gräf ein ,,Ausfransen" der Ränder und eine
Vergrößerung, während die Vermaschungsdichte abnimmt und die
verschiedenen Teilbereiche des persönlichen Netzes heterogener werden.
Eine Grauzone aus potentiellen Netzwerkmitgliedern entsteht, die durch die
Zugehörigkeit zur selben Online-Gemeinschaft konstatiert wird. Da
Austritte aus derartigen Gemeinschaften im Virtuellen kaum sanktionierbar sind,
kommt es zu einer erhöhten Fluktuation.
Für die Gesellschaft prognostiziert Gräf (1997, S. 119ff.)
einige Makroeffekte: Die Gesellschaft wird städtischer, weil
Netzwerke zunehmend auf ähnlichen Neigungen beruhen, die auch bei
Minimalinteressen und bei kleinen geographisch zugreifbaren Umfeldern durch die
Möglichkeiten des erweiterten virtuellen Raum zur Assoziation genutzt
werden können. Zugleich werden die Gesellschaften jedoch auch
dörflicher (McLuhans Schlagwort des global village), weil
Erreichbarkeit und Kontaktaufnahme zwischen einzelnen Individuen erleichtert
werden. Im Gegensatz zu wirklichen Dörfern fehlt jedoch das
,,automatische" Diffundieren von Meinungen innerhalb der engen
persönlichen Öffentlichkeit einer Person und dadurch auch die
dörfliche soziale Kontrolle. Eine weitere schon erwähnte Konsequenz
ist die Senkung der Transaktionskosten für die Organisation
,,soziale[r] Bewegungen, Kampagnen und Selbsthilfegruppen" (Gräf 1997,
S. 120).
Claus Leggewie (1997, S. 12f.) schließlich beschreibt das Internet
nicht als Raum, sondern als neues Medium, daß anders als andere Medien
,,nicht nur einseitge, vertikale one- oder
few-to-many-Kommunikation erlaubt, sondern bidirektionale Interaktion
und sowohl Individual- wie Massenkommunikation (one-to-one und
many-to-many)" (ebenda). Als multimediale Komposit-Technologie
integriert es die Möglichkeiten fast aller älteren Medien,
steigert deren Kapazität und Transaktionsdichte, verringert die
Transaktionskosten, erhöht als globales Netzwerk die Reichweite und
,,löst Information aus ihrer raum-zeitlichen Verankerung" (ebenda).
Fazit: Das Internet wird als ein quer zu vielen gesellschaftlichen
System liegendes soziotechnisches System beschrieben. Es trägt zur
Beschleunigung und Neu-Organisation der Kommunikationen der gesellschaftlichen
Systeme bei, die von ihm durchkreuzt werden. Es erweitert und partialisiert
zugleich die persönliche Öffentlichkeit des Einzelnen. Die Bildung
von (Interessen-)Gruppen wird erleichtert, virtuell organisierte Gruppen werden
zugleich jedoch auch flüchtiger.
Die
sich aus den eben genannten soziologischen Zugriffen auf das Internet
ergebenden Konsequenzen stehen nun nicht nur für sich alleine, sondern
müssen auf die Kommunikationen spezieller gesellschaftlicher Subsysteme
bezogen werden. Für das politische System wurde dies exemplarisch am
Beispiel der USA von Martin Hagen (1997) durchgeführt, der
aufzeigt, wie Computernetzwerke und verschiedene demokratietheoretische
Traditionen ineinandergreifen.
Hagen unterscheidet danach zwischen drei verschiedenen Konzepten elektronischer
Demokratie, die er als Teledemocracy, Cyberdemocracy und Electronic
Democratization bezeichnet (Hagen 1997, S. 88f.). Auf die
politikwissenschaftliche und theoretische Einordnung der drei Konzepte kann
hier nicht eingegangen werden, sie sollen nur kurz voneinander abgegrenzt
werden. Unter dem Teledemocracy versteht Hagen Konzepte, in denen sich
,,der Wunsch nach mehr direkter Demokratie innerhalb des politischen Systems
der USA und [...] die Absicht, die neuen Kommunikationstechnologien für
diese Zwecke nutzbar zu machen" (Hagen 1997, S. 59) verbindet. Im
Vordergrund stehen dabei elektronisch vermittelte Wahlen und Abstimmungen.
Hierunter würden meiner Ansicht nach auch Krauchs Computer-Demokratie
und Haefners Vorstellungen fallen. Mit Electronic Democratization
etikettiert Hagen diejenigen Konzepte, die mit dem Computer nicht
direktdemokratische Elemente einführen wollen, sondern am
repräsentativen System festhalten, dieses aber durch Electronic
Townhall Meetings, den leichteren Zugang zu Informationen und die
vereinfachte Gruppenorganisation verbessern wollen. Im Vordergrund stehen also
die Aspekte der Information und der Deliberation/Diskussion. Das dritte Konzept
der Cyberdemocracy schließlich ähnelt der
Teledemocracy, ist aber weitaus radikaler. Die dezentrale, anarchische
Struktur des Internet wird als ,,natürliche Antithese zu Washington, D.C."
(Hagen 1997, S. 77) gesehen. In seiner radikalsten Ausbildung
möchte dieses vor allem von der ,,virtual class" der amerikanischen
Westküste[39] vertretene Konzept den
Nationalstaat durch ein Nebeneinander unabhängiger und autonomer
virtual communities ersetzen, von freien BürgerInnen
selbstverwaltet.
In allen drei Fällen soll die jeweils als Ideal gedachte Demokratieform
durch den Einsatz von Computernetzwerken gefördert werden, indem auf
unterschiedliche Weisen die politische Beteiligung gesteigert wird (Hagen
1997, S. 98). Bei der Frage nach dem Mittel dazu fokusieren die
verschiedenen Theorien jeweils auf unterschiedlichen Eigenschaften
computervermittelter Kommunikation. Teledemocracy und zum Teil auch
Cyberdemocracy stellen vor allem die Überwindung des für
direkte Demokratie problematischen Raumes (das Größen-Argument)
sowie die Beteiligung an der Demokratie bisher unbeteiligter Gruppen (das
Extension-of-Franchise-Argument) in den Mittelpunkt. Bei der Teledemocracy
wird darüberhinaus (meist im kommunitaristischen Sinne) damit
argumentiert, daß durch Electronic Balloting und Electronic
Townhall Meetings im Zusammenhang mit nicht-elektronischen
direktdemokratischen Reformen die komplexen Probleme gelöst werden
könnten, vor denen moderne Demokratien stehen, und an denen
repräsentative Demokratien aus strukturellen Gründen scheitern
(Hagen 1997, S. 61-66).
Die VertreterInnen der Cyberdemocracy[40] nutzen - in unterschiedlichen Kombinationen je
nach politischer Ausrichtung - insbesondere drei Eigenschaften elektronischer
Netze für ihre Argumentation: Erstens können Online-Gemeinschaften
(virtual communities) gebildet werden, die zur Herausbildung von
Gruppenidentitäten und sozialem Kapital führen (Community-Argument).
Zweitens wird damit argumentiert, daß das Internet Materie als Zentrum
der gesellschaftlichen Kommunikationen durch Information ablöst, weswegen
sich auch die Politik radikal ändern muß; Computerkommunikation wird
als ,,neues, eigenständiges, »virtuelles« politisches System"
(Hagen 1997, S. 76) betrachtet (End-of-matter-Argument). Drittens wird
die dezentrale Struktur des Netzes und die damit einhergehende Möglichkeit
zur Selbstorganisation hervorgehoben (Antizentralismus-Argument). (Hagen
1997, S. 73-77).
Im vor allem von der Ostküste der USA hochgehaltenen
Electronic-Democratization-Diskurs liegt der Schwerpunkt auf drei
anderen Eigenschaften des Internets: Auf dem erleichterten Zugang zu
Informationen ohne Filterung durch die Massenmedien, auf der Senkung der
Transaktionskosten für Interessensgruppen, und schließlich auf der
Abhaltung von Electronic Townhall Meetings, die zu öffentlichen
Räumen für die Information und Diskussion politischer Themen gemacht
werden sollen. Diese Electronic Townhall Meetings werden auch als
Gegenmittel gegen die durch das Netz verstärkte Herausbildung von
Teilöffentlichkeiten (issue publics) betrachtet, da die
Teilöffentlichkeiten dort wieder zusammengeführt würden.
(Hagen 1997, S. 83-85).
Auch Claus Leggewie versucht, die neuen Medien auf ihre politikrelevanten
Eigenschaften hin abzuklopfen. Er geht davon aus, daß
,,[c]omputervermittelte Kommunikation an sich weder demokratiefreundlich noch
-feindlich [ist]" (Leggewie 1997, S. 15). Leggewie verweist dabei vor
allem auf Eigenschaften, die einer partizipatorischen Demokratie
entgegenkommen. Er nennt die autonome Gestaltbarkeit; die im Netz
verfügbare freie Information; das Potential zur Deliberation im
gegenseitigen Austausch in Diskussionsforen u.ä.; möglichst
gut diskursiv vorbereitete televotings; die Bildung virtueller
Gemeinschaften, die ,,reale" Gemeinschaften stärken können; sowie die
Möglichkeit zu einer breiten Partizipation bei der gezielten
Förderung sozialer Randgruppen und damit letzlich auch wieder das Argument
der Verringerung von Transaktionskosten bei der Gruppenbildung. Mögliche
Anwendungen gehen bei ihm von der Bürgerinformation und der transparenten
Verwaltung über elektronische Petitionen und Tele-Wahlen bis hin zu
politischen Diskussionsforen und Community Networks. (Leggewie 1997,
S. 12-18).
Nicht verschwiegen werden sollen einige Kritikpunkte an elektronischer
Demokratie, die wiederum mit speziellen Eigenschaften der computervermittelten
Kommunikation zusammenhängen. Zum Teil ähneln diese Argumente der
bereits in den 70ern und 80ern geführten Diskussion, zum Teil werden auch
neue Aspekte aufgeworfen. Neben diesen Kritikpunkten stehen oftmals auch
generelle Bedenken direkt-demokratischeren[41]
Reformen im Raum.
,,Was ist doppelbödig daran, wenn Bürger unter Nutzung modernster Technologien mehr Einfluß auf Politiker erhalten? Die Antwort liegt in der Beschaffenheit der Demokratie selbst. Moderne Informationstechnologie ist rasend schnell, demokratische Willensbildung extrem langsam." (Schmillen 1997).
Achim Schmillen nennt hier
eines der Hauptargumente der Kritik an der elektronischen Demokratie. Weitere
Probleme[42] werden in der ,,explosionsartigen
Vervielfältigung zur Verfügung stehender Informationen" (Hagen
1997, S. 93) und in der fehlenden Computerkompetenz der BürgerInnen
gesehen. Kritisiert wird der netzspezifische Diskussionsstil (,,Endlosigkeit,
Undifferenziertheit und der oft fehlende Fokus der Online-Kommunikation"
(Hagen 1997, S. 94; in Bezug auf H. Buchstein); vgl. auch die
Argumentation dagegen bei Leggewie 1997, S. 15f.) und die elitäre
(Hagen) oder auch nicht-repräsentative (Leggewie) Nutzung
der Netze, beispielsweise die Frage nach den Folgen der stark
unterproportionalen Vertretung von Frauen im Netz bei einer politischen
Nutzung. Es stellt sich schließlich die Frage, wem beispielsweise die
Erleichterung der Nutzung des Internet zu gute kommen - neuen Gruppen, oder
doch wieder nur der Exekutive, die damit die Instrumente für den
Orwellschen Staat in der Hand hält? (vgl. Hagen 1997, S. 96).
Grundsätzlicher kritisiert der Soziologe Rainer Rilling, daß der
Informationsraum kein ,,Mittel oder Ort der Entscheidung [ist]" (Rilling
1997, S. 202). Er begründet dies damit, daß Sanktionen im
virtuellen Raum symbolisch bleiben, daß kein Zwang ausgeübt werden
kann - es gibt immer die Exit-Option. Da aber zugleich die öffentliche
Rede, die mit ihrem zur Vernunft konvergierendem Schluß die Entscheidung
im Sinne des volonté générale herstellt, Grundlage und
Begründung der Volkssouveränität ist, glaubt Rilling, daß
,,im Informationsraum die Bildung eines allgemeinen Willens" (ebenda)
eben gerade nicht möglich ist, und daß deswegen auch politische
Ordnung nicht im Cyberspace entstehen kann. Stattdessen sieht er das
Netz als Raum einer kommerzialisierten Aufmerksamkeitsökonomie, und
verweist darauf, daß es dort per se keinen öffentlichen Raum geben
kann, da ,,jedes Stück virtuellen Bodens im Cyberspace jemandem
[gehört]" (ebenda).
Den genannten demokratiepolitischen Vorteilen des Netzes, wie die leichte
Datenzugänglichkeit, die many-to-many-Kommunikation oder die
relative Raumzeitunabhängigkeit, die einen Strukturwandel hin zu einer
,,Öffentlichkeit, die global und universell, direkt und dezentriert,
zwanghaft und zwanglos, diskursbewegt, anti-hierarchisch und
beteiligungsintensiv werde" (Rilling 1997, S. 195), versprechen,
hält Rilling neben der Frage nach der Möglichkeit politischer
Entscheidungen in einem nur symbolischen Informationsraum drei weitere
Argumente entgegen: die zunehmende Kommerzialisierung des Netzes in Richtung
Unterhaltungsmassenmedium, den dominanten Auftritt kapitalstarker politischer
Akteure (Regierungen, Parteien) in der ,,Arena politischer Netzkommunikation"
(Rilling 1997, S. 198), die empirisch nachweisbar andere politische
Akteure an den Rand der netzweiten Sichtbarkeit drängen bzw. diesen nur
noch spezielle Teilöffentlichkeiten übrig lassen, und
schließlich die globale Ungleichheit in der Frage des Zugriffs auf die
Netze, die von den grundsätzlichen Ressourcen wie Telefonleitungen
über Eigentumsverhältnisse und Bandbreitenfragen bis hin zu
Kompetenzungleichheiten reicht. (Rilling 1997, S. 199).
Politische Willensbildung Die Anbindung der Bevölkerung an Kommunikationsnetze und deren Verknüpfung mit politischen Institutionen kann die Möglichkeiten der politischen Willensbildung verändern. Der Rat für Forschung, Technologie und Innovation betrachtet diese Möglichkeiten primär als Chance, die den Bürger in erster Linie auf kommunaler Ebene mehr als bisher in den politischen Diskurs und in die politische Verantwortung einbeziehen kann. Auch die Bundesregierung begrüßt im Sinne einer unmittelbaren Bürgerbeteiligung jede Entwicklung, die zu einer besseren Information der Bürger und zu einem intensiveren politischen Dialog beitragen kann. In den letzten Jahren sind durch die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerbescheid [![43]] Elemente direkter Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene gestärkt worden. Bei dieser Entwicklung darf jedoch nicht außer Betracht gelassen werden, daß die Beteiligung der Bürger sich nicht auf besonders interessierte Bevölkerungsgruppen, die zudem die Möglichkeit der Anbindung an Kommunikationsnetze haben, beschränken darf. Prinzipien der repräsentativen Demokratie dürfen nicht ersetzt werden. (Info 2000, S. 62)
Zu den theoretischen
Schwierigkeiten und Befürchtungen gegenüber elektronischer Demokratie
kommen noch einige deutsche Besonderheiten. Während gewisse
soziotechnische Eigenschaften des Internet sicherlich
länderübergreifend gelten, hängen die konkreten Chancen der
Nutzung von Netzeigenschaften für bspw. elektronische Demokratie immer
auch von der jeweiligen Einbettung in eine spezifische Gesellschaft ab. So
konstatiert Hagen (1997, S. 106ff.[44]), daß hierzulande - anders als in den
Vereinigten Staaten - kaum eine Diskussion über elektronische Demokratie
stattfindet[45], und vermutet die Ursachen in
institutionellen und kulturellen Besonderheiten des politischen Systems.
Schlagwortartig zusammengefaßt: schlechte Erfahrungen mit
plebiszitären Elementen, die wesentlich stärkere Stellung der
Parteien, die zu einer partiellen Abschottung der Politik von der
Öffentlichkeit führt, die politische Kultur, die auf Beharren,
Reformunwille, Gehorsam aufbaut, und der Hang zum Idealismus. Schließlich
wird mit Politik generell ein negatives Image verbunden: ,,die privaten
Sphären der Wirtschaft und Freizeit erscheinen wichtiger als
öffentliche Sphäre der Politik" (Hagen 1997, S. 109).
Es ist demzufolge äußerst unwahrscheinlich, daß in naher
Zukunft[46] in der Bundesrepublik Ansätze
der Teledemocracy oder gar der Cyberdemocracy umgesetzt werden.
Etwas optimistischer sehe ich die Situation im Bereich der Electronic
Democratization. So sind inzwischen auch hier viele parlamentarische
Informationen im WWW zugänglich und die Abgeordneten per eMail erreichbar.
Die großen politischen Akteure haben das Netz längst als Medium der
politischen Werbung entdeckt und sind mit verschiedenartigen Informationen
präsent, ebenso gibt es Pilotprojekte in Richtung des Electronic
Townhall Meeting. Die WWW-Seiten der Parteien werden stärker als heute
auch bidirektional genutzt werden. Ebenso werden wahrscheinlich
Diskussionsveranstaltungen mit PolitikerInnen im Netz (oder gar in VR) in
Zukunft eher zu den häufigeren Ereignissen gehören.
Daneben (oder auch damit) wird die massenmediale Vermarktung von Politik als
Event fortschreiten und dabei auch das WWW nicht auslassen. Das
geschieht nicht nur von privater Seite (z.B. www.spiegel.de, Yahoo!),
sondern bei entsprechenden Anlässen wie großen Wahlen auch von
öffentlicher Seite (z.B. www.tagesschau.de). ,,Politiker werden Sekunden
vor wichtigen Abstimmungen mit repräsentativen Umfragen konfrontiert
werden, und unmittelbar danach mit ersten Reaktionen" (Schmillen 1997) -
eine sicherlich auch ohne die Etablierung einer Teledemocracy plausible
Voraussage. Ein Teil des Netzes ordnet sich damit relativ nahtlos in die
kommerzielle Medienlandschaft ein, verliert zugleich aber einen großen
Teil seiner besseren Eigenschaften.
Parallel und unverbunden wird es daneben weiterhin hochgradig informative und
gut gemachte nichtkommerzielle politische Angebote geben, die allerdings im
Kampf um die Aufmerksamkeit eher verlieren werden bzw. nur von spezifischen
Teilöffentlichkeiten zur Kenntnis genommen werden - ähnlich wie heute
schon Szeneblätter oder nichtkommerzieller Rundfunk. Das Beispiel macht
zugleich klar, daß eine dominierende Eigenschaft des Internet seine
Partialisierungskraft ist, ein Trend ohne echtes Gegengewicht. Netzorientierte
Kampagnen wird es zu real-life-Themen ohne Unterstützung der
real-life-Öffentlichkeit kaum geben - das Besetzen von namespace
reicht für eine erfolgreiche Kampagne nicht aus (auch wenn
Bieber/Hebecker 1998 das vielleicht anders sehen, und auch wenn es
Versuche gibt, Electronic Civil Disobience[47] aufzubauen). Stattdessen wird sich die interne
Vernetzung zu einem Standardinstrument sozialer Bewegungen entwickeln.
Schließlich ist beispielsweise anhand der in Bayern erfolgreichen
Initiative Mehr Demokratie zu vermuten, daß auch in der
Bundesrepublik ein gewisses Interesse an direktdemokratischen und
partizipatorischen Elementen vorhanden ist. Hier ist am ehesten in Kommunen und
vielleicht in Stadtstaaten mit weiteren experimentellen und innovativen
Ansätzen zu rechnen, etwa im Bereich der Lokalen Agenda oder der
Stadtplanung, wahrscheinlich jedoch eher beratend-deliberativ als
entscheidend-partizpativ - möglicherweise allerdings auch ohne große
Gegenliebe: ,,Partizipationsprozesse finden nur dort statt, wo es bereits
institutionelle Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Dazu sind mehrere
Anknüpfungspunkte wie brennende Themen vor Ort, lokaler Beteiligungswille
und eine entsprechende Organisation/Moderation notwendig."
(Kiper/Schütte 1997).
Auf größeres Interesse wird dagegen wahrscheinlich die
Möglichkeit stoßen, Verwaltungsangelegenheiten per Netz und ohne
lästiges Vorbeischauen im echten Amt zu erledigen. Nach einiger Zeit
könnte sich dann schließlich über diesen Verwaltungspfade die
Wahl-Variante für Cyberfreaks etablieren, wenn sie wohl auch nur von einem
kleinen Teil der Bevölkerung genutzt werden würde. Aber auch nach der
Etablierung von sicheren Authentifizierungsmechanismen stellt die elektronische
Briefwahl ohne weitere Einbettung in eine informative/deliberative Umgebung
alles andere als den Höhepunkt der Gefühle für
TeledemokratikerInnen dar.
Aber vielleicht kommt es ja auch weniger darauf an, auf den Staat und den
,,großen Wurf" zu hoffen, als vielmehr darauf, die vorhandenen
Freiräume für partizipative Projekte - nicht nur innerhalb der Netze
- zu nutzen, auszubauen und zu verteidigen. ,,We should not pin our hopes for a
more liberal, progressive and democratic society on the »promise« of
new electronic technologies" (Sobchack 1996, S. 87).
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