Tarnfarben überall
Ich weiß nicht,
ob es dir schon aufgefallen ist: Wenn du durch die Stadt gehst und die
Schaufensterauslagen der Jugend-Boutiquen anschaust, dann sind jede Menge
Kleidungsstücke zu sehen, die sich an militärische Vorbilder
anlehnen. Hosen in Tarnfarben. Praktische Cargo-Pants mit Seitentaschen
in feldgrau, drillich und khaki. Elegante Pullover und T-Shirts in denselben
Farbkombinationen und Mustern. Das ganze für alle Altersstufen von
drei bis dreißig. Vielleicht ist es nur ein untergeordneter kleiner
Trend, der eh schon wieder am verschwinden ist. Vielleicht aber ist es
kein Zufall, daß parallel zur Remilitarisierung der deutschen Politik
auch eine Remilitarisierung der Kleiderschränke erfolgt ist.
Die
an den dress-code fiktiver Armeen angelehnte Mode hat kaum etwas mit der
Bundeswehrparka zu tun, in der damals gegen die Nachrüstung demonstriert
wurde. Denn damals überwogen praktische Gründe; und die Zweckentfremdung
militärischer Insignien, um so gegen den Krieg und das Böse zu
kämpfen, machte irgendwie Sinn. Wer dagegen heute aus Modetrends irgendwelche
Schlüsse ziehen will, muß wohl noch etwas früher ansetzen.
Denn diesmal geht es nicht um die Zweckentfremdung ehemals militärischer
Kleidungsstücke, quasi also um eine Wiedereingliederung der Klamotten
ins Zivile, sondern vielmehr um die Produktion und Vermarktung neuer, speziell
auf den Jugendmarkt zugeschnittener Kleidung, die sich nur in Funktionalität
und Design an Uniformbestandteile anlehnt. Deswegen scheint mir der historische
Vergleichszeitpunkt nicht in den 70er Jahren, aber auch nicht bei den Braunhemden
der Hitlerjugend zu liegen. Vielmehr kommt mir die wilhelminischen Begeisterung
für die deutsche Flotte in den Sinn, die sich zur Jahrhundertwende
in einer Kindermode äußerte, die in den noch heute auf vielen
Fotos zu bestaunenden Matrosenanzügen gipfelte. Auch damals ging es
darum, einem tiefen gesellschaftlichen Trend nicht nur in politischen Schriften
und Sonntagsreden zu folgen, sondern das Bild tapferer Matrosen auch in
der Kleidung der Kleinsten wiederzufinden. Und praktisch war das damals
sicher auch.
Es wäre
etwas zu kurz gegriffen, jetzt zu behaupten, daß jede TrägerIn
der oben beschriebenen Mode begeisterte KriegsanhängerIn wäre.
Ich wäre mir noch nicht einmal so sicher, ob Eltern, die ihrem fünf-jährigen
Sohn eine Tarnfleckenmontur kaufen, sich so bewußt sind, was sie
da eigentlich tun. Darum geht es aber auch gar nicht. Vielmehr möchte
ich den Blick auf die Tatsache lenken, daß es dieser Mode ohne größeres
öffentliches Aufsehen möglich war, sich für eine Trendperiode
zu etablieren. Einzig und allein auf der taz-Wahrheit fand sich vor ein
paar Wochen eine kleine Notiz, daß irgendeine humanitäre Organisation
H&M gebeten habe, doch im nächsten Sortiment keine Kriegsmode
mehr aufzunehmen. Da war der Trend schon wieder am verblassen.
Was
ist das für eine Gesellschaft, in der es schick sein kann, in Pseudouniform
rumzulaufen – nicht im gegenkulturellen Sinn entfremdeter Nutzung, sondern
ganz eingebettet in den gesellschaftlichen Mainstream? Es ist eine Gesellschaft,
die – auch wenn sie es vielleicht noch nicht so ganz begriffen hat – Krieg
wieder als legitimes Mittel der Politik ansieht. Eine Gesellschaft, in
der – und auch hier die Tarnfarben humanitärer Worthülsen – gar
vom ‘politischen Pazifismus’ gesprochen wird, wenn der Waffeneinsatz gemeint
ist. Eine, in der eine linke Partei aus der Friedensbewegung einen Außenminister
stellen kann, der zwar sorgenzerfurcht, aber dennoch tapfer und höchst
populär Kontinuität ausübend im Spiel um Krieg und Frieden
mitspielt. Ein, in der Heldenverehrung und der tägliche Frontbericht
in der Sorge um unsere Jungs da unten wieder in ist. Eine, in der Antikriegspolitik
mehr eine Frage der politischen Marktnischen als eine Frage tatsächlicher
Skrupel am Militärischen ist. Eine Gesellschaft, in der Formelkompromisse
schon Siege sind, weil die Macht von Militärbündnissen stärker
ist als der politisch-moralische Einfluß einer Parteibasis.
Vielleicht
wird es in ein paar Jahrzehnten möglich sein, einen Blick auf alte
Fotos zu werfen, die typische Mode einer kriegstreiberischen Zeit zu sehen
und sofort zu wissen, daß das damals war, in den ersten paar Jahren
des neuen Jahrtausends. Hoffentlich wird dieser Blick ein Blick sein, der
nicht verstehen kann, warum damals Kriege wieder möglich waren. Und
möglicherweise wird dann über die zynische Ironie des Schicksals
gelächelt, der ersten rot-grünen Reformregierung auch den ersten
neuen deutschen Krieg mitzugeben. Sicherlich werden viele nicht verstehen,
warum damals achtzig Tage Bombenangriffe a la Schutt und Asche notwendig
waren, um dann dieses magere Verhandlungsergebnis in den Händen zu
halten. Und nur die Linken von damals werden sich dann noch daran erinnern,
daß 1999 das Jahr war, in dem Bündnis 90/Die Grünen endgültig
den magischen Zauber der Bewegungspartei verloren hat und ganz normal wurde.
Das Jahr, in dem viele begriffen haben, daß es sich nicht lohnt,
auszutreten, daß Herzblut aber in der Liebe besser aufgehoben ist
als in der Politik. Wo deutlich wurde, daß grün nicht mehr schick
ist. Und daß die neue Modefarbe grau heißt.
Till Westermayer,
16. Juni 1999. Veröffentlicht in: SPUNK (Zeitschrift des Grün-Alternativen
Jugendbündnisses) #19, November 1999, S. 31.