Rede zum akademischen Jahr 1999/2000


Es gilt das gesprochene Wort. Die Rede wurde am 20.10.99zur Eröffnung des akademischen Jahres 1999/2000 der Albert-Ludwigs-Universität von Till Westermayer gehalten.

Herr Jäger, Herr von Trotha, liebe Universitätsangehörige, liebe Gäste,

wie Sie wissen, gehören zum Ritual der Eröffnung des Akademischen Jahres auch Grußworte des AStA-Vorstandes. Als Teil des wie üblich zwar nicht de jure, aber doch de facto dreiköpfigen Vorstandskollektiv darf ich Ihnen das Grußwort der Studierenden vortragen.

Bedauerlicherweise bleibt uns wenig Auswahl  bezüglich des Themas. Wer einen Blick auf die aktuelle hochschulpolitische Situation wirft – und obwohl wir das als AStA-Vorstand ja gar nicht dürfen, reden wir natürlich am liebsten über Hochschulpolitik – sieht sofort, dass es vor allem die Novellierung des Universitätsgesetzes ist, die ins Blickfeld gerät und einen schwarzen Schatten über die Hochschullandschaft wirft. Da verfinstert sich etwas! Wir kommen also gar nicht umhin, unser Grußwort dieser Novellierung zu widmen.

Wie sie schon ahnen, sind wir noch immer nicht zu Freunden des Gesetzesvorhabens geworden. Dieses neue Universitätsgesetz wird im Verein mit einigen anderen Werken aus dem Wissenschaftsministerium vor allem einen Effekt haben: Es wird dazu beitragen, das Studieren in Baden-Württemberg unattraktiver zu machen. Fast schon planmäßig wird hier die Ressource Bildung reduziert. Und das in einer Zeit, in der Bildung, wenn den Prognosen der Wissenschaft und den Reden der Politik Glauben geschenkt werden darf, immer wichtiger wird. Das Stichwort der Wissensgesellschaft lässt sich mit diesem Gesetz kaum vereinbaren – auch wenn das immer wieder behauptet wird.

Warum wird alles daran gesetzt, abzuschrecken, zu verkürzen, zu verteuern, an völlig unsinnigen Stellen zu erschweren? Herr Trotha, glauben Sie tatsäch-lich, dass der Status ,,Musterländle" es verträgt, dass immer weniger Menschen es sich leisten können, hier zu studieren?

Wir sind also überaus verwundert darüber, wie der Wissenschaftsminister mit neuen und alten Landeskindern umgeht. Es würde nichts bringen, hier noch einmal Punkt für Punkt durch das Gesetz zu gehen und herauszustellen, was uns daran stört. Wir haben das oft genug getan – wer etwas in die Hochschulpolitik involviert ist, kennt unsere Stellungnahmen. Ich möchte hier nur zwei Punkte aufgreifen, nämlich die Frage der Zwangsexmatrikulation, die eng mit der Frage nach den Studiengebühren zusammenhängt, und die Frage der Beteiligung der Studierenden.

Seit ein paar Jahren gibt es in Baden-Württemberg Studiengebühren. Die 1000 Mark müssen zwar erst ab dem vierzehnten Semester gezahlt werden, sind davor aber „virtuell„ dennoch vorhanden, und werden nur durch ,,Bildungsgutscheine" überdeckt. Wenn wir als AStA uns dazu äußern dürften, würden wir weiterhin jegliche Form von Studiengebühren ablehnen. Der uns nahestehende u-asta lehnt Studiengebühren jedenfalls ab, und machte dies in der Vergangenheit sehr deutlich und wird dies auch in Zukunft laut und deutlich. Die konkrete 1000-DM-Regelung in Baden-Württemberg hält der u-asta nicht nur politisch für völlig falsch, sondern unterstützt auch Klagen von  Studierenden dagegen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis der Berufungsverhandlung.
Zur Zeit gibt es also faktisch Studiengebühren in Baden-Württemberg, und Sie, Herr Trotha, machen leider ganz und gar nicht den Anschein, als ob sich dies bald ändern würde. Ein bundesweites Studiengebührenverbot ist ebenfalls in weite Ferne gerückt.
Die in Baden-Württemberg gewählte Form der Studiengebühren hat angeblich das Ziel, einen Anreiz dafür zu schaffen, dass Studierende sich beeilen und möglichst hastig ihr Studium beenden. Wir wissen jedoch, dass nur ganz selten der Wunsch nach einem möglichst langem Studium Grund für hohe Semesterzahlen ist. Und ganz nebenbei gefragt: was spricht eigentlich dagegen, dass Studierende gründlich studieren und dann vielleicht auch länger brauchen?

Es gibt also ein Lenkungsinstrument (die 1000 Mark pro Semester), und dieses Lenkungsinstrument scheint auch so zu funktionieren, wie sich die Regierung das vorstellt, sonst würde sie es wieder abschaffen. Was wir nicht verstehen, ist die Tatsache, dass das neue Universitätsgesetz – wenn Herr Trotha dies persönlich vielleicht auch anders sieht, es ist aber ja doch sein Gesetz - trotz dieser Gebühren die Zwangsexmatrikulation wieder einführen soll. Damit ist gemeint, dass Studierende einfach exmatrikuliert werden können, wenn sie das zwanzigste Hochschulsemesters überschritten haben. Es ist eine Kann-Regelung, die durch Kopplung an die Mittelzuweisung faktisch zum Muss wird.
-- Gut, das Gesetz schränkt ein: Zwangsexmatrikulation nur dann, wenn eine Abschlussprüfung aus selbst zu vertretenden Gründen noch nicht abgelegt wurde. Aber hier fängt der Interpretationsspielraum an. Geht es um Fachsemester oder um Hochschulsemester? Wie sieht es mit einem Zweitstudium aus? Wie mit den völlig unzureichenden Teilzeitstudiengängen? Und vor allem: wer entscheidet, welche Gründe selbst zu vertreten sind? (Z.B. ganz persönliche und private Beziehungsprobleme? Ein Kind? Die späte Erkenntnis, dass ein von mir gewähltes Fach doch nicht das wahre ist? Etwa, weil der Arbeitsmarkt sich verändert hat?). Und wer entscheidet an der Uni überhaupt über Zwangsexmatrikulationen? Der Rektor? Auch das ist im Gesetz nicht klar geregelt.

Fazit: Ich glaube nicht, dass jemand deswegen besser, schneller oder schöner studiert, weil er oder sie Angst davor haben muss, sonst aus der Uni geworfen zu werden. Bisher gibt es die Drohung mit dem finanziellen Holzhammer. Dem-nächst soll noch die Politik mit der Angst dazu kommen – der Angst, eines Tages exmatrikuliert zu werden, ohne das Studium beendet zu haben. Jedes für sich ist ein Schritt in die falsche Richtung. Zusammen ist es unlauter und viel zu viel der ministeriellen Fremdbestimmung. Ganz nebenbei gemerkt: vor 20 Jahren wurde ein baden-württembergischer Wissenschaftsminister vom u-asta dafür gelobt, dass er sich dafür einsetzte, die Zwangsexmatrikulation aus dem Hochschulrahmengesetz zu streichen. Warum also zurück in die Vergangenheit?

Zum zweiten Punkt, zu dem ich mich näher äußern will, der Beteiligung der Studierenden: Herr Trotha, in der Badischen Zeitung geben sie sich überzeugt davon, dass das neue Hoch-schul-gesetz ,,im Ergebnis'' auch für die Studierenden positiv sein wird. Dieser Optimismus gehört zu ihrem Beruf. Sie erwähnen die leicht verbesserten Mitwirkungsmöglichkeiten im Fakultätsrat und in den Studienkommissionen, und schaffen es sogar, die Pflichtprüfung am Ende des zweiten Semester als eine positive Errungenschaft hinzustellen. Sie wissen aber sicher, dass manche Kröten lieber geschluckt werden, wenn auf der anderen Seite dafür Geschenke gemacht werden. Die leicht verbesserte Mitwirkungsmöglichkeit – übrigens größtenteils ein Vorschlag der Landes-ASten-Konferenz, der ausnahmsweise angenommen wurde – reicht allerdings für die Kröten dieses Gesetzes bei weitem nicht aus.

Ich will das etwas ausführen: Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es in Baden-Württemberg keine Verfasste Studierendenschaft mehr. Dass bedeutet, das Studierende nicht als eigenständige Körperschaft wahrgenommen werden, sondern auch im Bereich der „Selbstverwaltung„ unter der großen Obhut der Alma Mater bzw. des Rektors stehen. 1977 wurde die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft politisch mit der Gefahr terroristischer Umtriebe begründet. So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass ein Erstsemester – der trotz der sich massiv verschlechternden Studienbedingungen aus dem Norden in den Süden zog – bei unserem Semestereröffnungswochenende etwas verwundert war: Denn die Rote Armee Fraktion gibt es ja schon länger nicht mehr. Also läge es doch nahe, die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft jetzt wieder rückgängig zu machen, oder? Bis auf ,,Das ist halt Baden-Württemberg" konnte ich ihm darauf nichts erwidern.
Zufälligerweise kann ich Ihnen schon sagen, wie der Minister auf diese Forderung reagiert. Wir hatten uns im Anhörungsverfahren zum Gesetzentwurf dafür stark gemacht, die Verfasste Studierendenschaft wieder einzuführen, und so die demokratische Beteiligung der Studierenden wieder auf eine solide Grundlage zu stellen. Der Minister äußert sich dazu ganz lapidar: ,,Die Einführung einer verfaßten Studierendenschaft würde zu keiner Verbesserung der Stellung der Studierenden bei der Vertretung ihrer Interessen führen''
Das kann man so sagen, muss es aber nicht glauben.

Übrigens heißt der empirisch häufigste Satz im Anhörungsteil des Gesetzentwurfs: ,,Dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt.'' Herr Trotha, der Ruf der Politiker würde sicher nicht darunter leiden, wenn der Dialog mit der Gesellschaft auch einmal Früchte tragen würde. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach.

Währenddessen möchte ich noch ein paar Worte sagen, die weniger das Land Baden-Württemberg als vielmehr die Universität Freiburg selbst betreffen. Das neue Universitätsgesetz wird wohl leider trotz absehbar erheblichem Nachbesserungsbedarf kommen. So lautstark wir das Gesetz auch weiterhin ablehnen, – wenn es da ist, müssen wir uns irgendwie damit – oder dagegen - einrichten. Darin haben wir ja einige Erfahrung.
Die negativen Folgen des Gesetzes werden auch in Freiburg zu spüren sein. Die Studierendenzahlen sinken im Trend – und das sicher nicht, weil die Albert-Ludwigs-Universität so schlecht wäre. Auch, wer gerne hier studiert, würde sich doch freuen, wenn die Universität noch einmal überlegt, wie sie eigentlich zu ihren Studierenden steht. Der Trend der politischen Debatte zieht ja deutlich in Richtung Ökonomisierung. Wenn Sie möchten, kann ich hier gerne eine flammende Brandrede gegen die zunehmende Privatisierung von Bildung und die industrielle Produktion akademischer AbsolventInnen einflechten. Sie können sich den Tenor vorstellen.

Wie gesagt, wir würden uns freuen, wenn die Universität einmal reflektieren würde, wie sie zu ihren Studierenden steht. Die naheliegende Antwort: ,,Na klar, das sind unsere Kunden'' ... ist leider die falsche.

Auch im Trend zur Autonomie – die übrigens in der Übersetzung nicht als ,,Der Rektor hat das Sagen'' zu lesen ist!, und genausowenig als rein wirtschaftliche Autonomie! – auch im Trend zur Autonomie darf die Universität nicht den Fehler machen, sich mit einem Unternehmen zu verwechseln. Weder sind Studierende Kunden, noch produziert eine Universität Magister, Doktorinnen, Forschungsergebnisse und Unishop-Präsente her. Wenn Universität sich weiterentwickeln will, mag es hilfreich sein, sich das Instrumentarium der Wirtschaft auszuborgen. Aber nicht jedes Werkzeug passt auch auf die Wissenschaft, und wer dann versucht, ein feines Uhrwerk mit einem groben Vorschlaghammer zu reparieren, wird sehen, was ich meine. Die Universität hat ihren eigenen Werkzeugkoffer, und ein Teil dieser Werkzeuge – so etwa das Selbstverständnis als eine eigenständige Gemeinschaft – ist schon sehr alt. Vieles davon ist heute veraltet. Aber manches erscheint immer noch brauchbar.
Universität als eigenständige Gemeinschaft der dort Lehrenden, Arbeitenden und Lernenden kann in einer demokratischen Gesellschaft ja eigentlich nur als demokratisch organisierte Gemeinschaft gedacht werden, in einer ökologischen Risikogesellschaft ja eigentlich nur als eine umwelt-bewusst handelnde Gemeinschaft, in einer Erlebnisgesellschaft ja eigentlich nur als Gemeinschaft, die auch einmal zusammen feiert.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich möchte hier nicht konservativen Gemeinschaftsideologien das Wort reden. Aber wir Studierende haben – als Teil dieser Universität - ein großes Interesse daran, an der Ausgestaltung der universitären Autonomie mitzuwirken. Dabei geht es um die Frage, wie die nächste Grundordnung aussehen wird – aber längst nicht nur darum. --
Wie könnte so ein Aufbruch in die halbwegs vor-han-dene Selbständigkeit aussehen? Profilbildung kann sinnvoll sein – die Pflege kleiner Fächer und die nicht monetär bewertbare Wissenschaft sind es auf jeden Fall auch. Globalhaushalte? Warum nicht – aber dann sollten wir es auch mehr Demokratie wagen. Die Massen-universität vermittelt kein Identitätsgefühl mehr, deswegen wird zur Corporate Identity vom Rektorzimmer bis zum Hörsaalflur gegriffen. Würde aber nicht ganz von selbst Identität entstehen, wenn die Universität – etwa durch die Beteiligung von Studierenden an Forschung und Lehre - so interessant, so lehrreich und so lebendig wäre, dass die viel geschmähten studierenden Massen sich für ihre Universität ganz einfach mit-verantwortlich fühlen würden – und dafür vielleicht auch gerne einmal länger bleiben?

Also: Wenn wir eine grünende und gedeihende Autonomie der Universität haben wollen, bleibt uns hier in Freiburg nichts anders übrig, als uns gegen Stuttgarter Unvernünftigkeiten zu wehren und zu schauen, wo wir andere Wege gehen können. Und hier sind alle Kräfte an der Universität gefragt!

Ganz zum Schluss noch die Einladung, morgen mit uns auf der Rempartstrasse Zwiebelkuchen zu essen und so in die städtische Verkehrspolitik einzugreifen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
 

Till Westermayer und Gunnar Baar, 20. Oktober 1999