Studiengebühren, ja bitte?

Gedanken zu einer generationengerechten Steuer für AkademikerInnen

Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) wurde 1998 ins Leben gerufen - aus damals und auch noch heute aktuellem Anlass. Mindestens seit fünf Jahren wird jetzt bundesweit gegen die Einführung von Studiengebühren in jeder Form gekämpft, und mindestens ebenso lange geht dieser Kampf - um im militärischen Jargon zu bleiben - Schlacht für Schlacht verloren. Rot-grün verspricht erst Gebührenfreiheit, kommt dann aus verfahrenstechnischen Fehlern heraus zu einem Meininger Kompromiss mit den Ländern, um schließlich in einer heute juristisch angegriffenen Novelle gegen die Bundesländer die weitgehende Studiengebührenfreiheit des Studiums innerhalb der Regelstudienzeit festzuschreiben. Währenddessen führen immer mehr Bundesländer munter Verwaltungsgebühren und Strafgebühren für längere Studienzeiten ein, zum Teil im Gewand der liberaleren und vielleicht - aber auch nur vielleicht, Stichwort Regelabbuchung - flexibleren Studienkonten wie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geplant. Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) nutzt weiterhin jede sich bietende Gelegenheit, für allgemeine Studiengebühren zu plädieren, möchte einzelne Modellversuche dazu. Baden-Württembergs schwarz-gelbe Regierung sieht als Maßnahme zur Haushaltssanierung allgemeine, nachlaufende Gebühren vor, und auch in den Reihen der Roten und Grünen steigt die Zahl der GebührenbefürworterInnen. Soweit die aktuelle Situation. Dagegen stehen nur kleine Erfolge - die ungeschickt umgesetzte Rückmeldegebühr in Baden-Württemberg, die gekippt werden konnte, das grundsätzliche Festhalten an der Gebührenfreiheit bei den Grünen, stu-dentische Proteste mit Massenwirkung in NRW, die dort tatsächlich etwas bewirkt haben, und ein seit langem endlich mal wieder tatsächlich arbeitendes und aktionsfähiges bundesweites studenti-sches Bündnis wie das ABS.

Sich in dieser Situation eher zustimmende Gedanken über ein Modell zu machen, dass die grundsätzliche Kostenfreiheit des Studiums beenden würde, ist sicherlich nicht ganz unproblematisch. Trotzdem will ich es versuchen - als einen Denkanstoß in einer verfahrenen Situation, die sich angesichts von Wirtschafts- und Haushaltskrisenstimmung in den nächsten Jahren nicht verbessern wird.

Vorher halte ich es aber für sinnvoll, die oben geschilderte Gemengelage der BefürworterInnen etwas aufzudrösseln. Denn nicht alle wollen Gebühren aus den gleichen Motiven heraus. Zumindest vier Argumentationslinien fallen auf: Erstens sind da diejenigen, die sich eine marktartige Steuerungswirkung von Gebühren erhoffen. Diese wollen möglichst ab dem ersten Semester und für alle Gebühren, teilweise auch als Bildungsgutschein realisiert. Prominent ist hier vor allem das CHE. Schwäche dieser Modelle ist - abgesehen davon, dass es sehr fraglich ist, ob die Bildung eine marktfähige Ware ist - vor allem die Frage, was mit wichtigen, aber unpopulären Fächern geschehen soll, denen der Finanzhahn abgedreht wird, und die Tatsache, dass sich Marktanspruch und der Anspruch der Teilhabe an Bildung für alle sozialen Schichten ganz prinzipiell nicht vertragen. Zweitens gibt es eine Argumentationslinie, dass Gebühren notwendig sind, um das Studium zu beschleunigen. Es soll ein Kostenbewusstsein bei Studierenden hergestellt werden, die Studienzeit möglichst beschränkt werden. Das Bildungsguthaben in Baden-Württemberg und Studienkonten in NRW und Rheinland-Pfalz unterscheiden sich hier nur graduell. Drittens wird mit Verteilungsgerechtigkeit argumentiert - das Argument, dass Kindergartenplätze kosten und Hochschulen nicht. Und viertens geht es einigen ganz schlicht und einfach um die Rettung maroder Staatshaushalte.

Wer an einer Teilhabe möglichst breiter Schichten an Bildung festhalten möchte, muss etwas gegen sofort ab dem ersten Semester zu zahlende Gebühren haben, denn die schrecken tatsächlich sozial ab. Verweise auf ein doch komplementär zu errichtendes breites Stipendienwesen oder eine Ausweitung des Bafögs halte ich für illusionär. Wer der Meinung ist, dass Universitäten und mindestens ein Stück weit auch andere Hochschulen etwas anderes sind als Supermärkte für Bildung, dass die Selbststeuerung von Wissenschaft anders funktioniert als über Märkte, und dass ein Studium etwas breiteres und umfassenderes ist als ein Weiterbildungskurs, muss alle Ansätze ablehnen, die Hochschulen in Bildungsmärkte verwandeln wollen, und sollte auch einen sehr kritischen Blick auf Ansätze werfen, die Studienzeiten zugunsten wirtschaftlicher Verwertbarkeit beschleunigen wollen. Die meisten der heute diskutierten Gebührenmodelle weisen - zum Teil sehr bewusst gewollt - zumindest eines dieser beiden Probleme auf. Direkt zu zahlende Gebühren ab dem ersten Semester sind unsozial und führen zu marktartigen Organisationsformen. Langzeitgebühren drängen auf kurze Studienzeiten, was ich für falsch halte. Auch Studienkontenmodellen haftet sowohl der Ruch an, Bildung zu einem künstlich knappen Gut zu machen, und damit Marktprobleme nach sich zu ziehen, als auch eine ganze Reihe an sozialen Ungerechtigkeiten und darüber hinaus je nach Implementation das Kurzzeitstudienproblem.

Zurück zu den vier Argumentationslinien: Sowohl die Tatsache, dass die öffentlichen Kassen relativ leer sind, als auch das Verteilungsgerechtigkeitsargument leuchten bis zu einem gewissen Grad ein. Ein sozial gerechtes, nicht mit Zeitdruck ausgestattetes Studienkontenmodell wird allerdings kein Geld in öffentliche Kassen bringen (sondern es höchstens zwischen den Hochschulen etwas effizienter verteilen), und es wird auch nichts daran ändern, dass Kindergartenplätze etwas kosten. Nicht nur deswegen halte ich ein Studienkontenmodell für problematisch.

Was ist abgesehen von der Verteidigung des Status Quo - unter schwerer werdenden Bedingungen - noch möglich? In Dresden diskutiert das CHE darüber, dass Studierende einen Beitrag in einen Verein mit Zwangsmitgliedschaft zahlen, der dann von einem Beirat direkt an Fakultäten verteilt wird - oder anders gesagt: Direkte Gebühren, die direkt der Hochschule zu Gute kommen, und bei denen wie bei allen direkten Gebühren unklar ist, wie Studierende sich diese leisten sollen. Wenn schon, dann erscheint es doch sehr viel sinnvoller, nach Ablauf des Studiums - beim durchschnittlichen Vorhandensein relativ hoher Einkommen - Geld zu verlangen. Dies kann allerdings nicht so geschehen, wie dies zur Zeit für Baden-Württemberg diskutiert wird: ein Eurobetrag pro Semester, der dann zurückgezahlt werden muss, berücksichtigt nicht die unterschiedliche Einkommenssituation nach dem Studium und privilegiert indirekt Studierende, die direkt nach dem Studium - zum Beispiel aus dem Elternhaus - auf größere Geldmengen zurückgreifen können, um sich freizukaufen. Zudem wird auch hier die Illusion aufrecht erhalten, dass ein längeres Studium mehr (und auch noch proportional mehr) als ein kürzeres Studium kostet.

Sympathischer erscheinen mir dann Modelle eines AkademikerInnen-Beitrags oder einer AkademikerInnen-Steuer, die pauschal für alle AbsolventInnen eines Studiums eine erhöhte Einkommenssteuer vorsieht. Dies darf das Studium nicht unter künstliche Beschleunigungszwänge setzen, sollte also pauschal und nicht nach Länge des Studiums erbracht werden. Der finanzielle Beitrag der AbsolventInnen ist nicht direkt an ihr eigenes Studium und dessen Kosten gekoppelt, sondern solidarisch organisiert: Alle, die studiert haben und damit eine größtenteils staatlich finanzierte Bildung oder Ausbildung genossen haben, tragen überproportional dazu bei, dass diese öffentlich finanzierte Bildung aufrecht erhalten wird.

Ein derartiges Modell hat für mich mehrere Vorteile: Da ein Prozentsatz des Einkommens gezahlt wird, ist es sozialverträglich. Wer nach dem Studium sehr wenig verdient, muss nichts an den Staat zahlen, wer sehr viel verdient, trägt solidarisch dazu bei, mehr als die Kosten des eigenen Studiums zurückzugeben. Menschen, die nicht selbst studiert haben, werden nicht - wie es bei einer allgemeinen Steuererhöhung der Fall wäre - für etwas zur Kasse gebeten, was sie nicht direkt betrifft. Außerdem ließe sich ein solches Modell sehr gut mit Überlegungen wie dem Bundesausbildungsförderungsfonds (BAFF) koppeln, der eine elternunabhängige Finanzierung des Lebensunterhalts während des Studiums durch ein solidarisches Fondsmodell sichern würde.

Aber nicht jede AkademikerInnen-Steuer erscheint gleich sinnvoll. Neben der Pauschalität, die nicht nach den Kosten des Studiums fragt, sondern ein Solidarmodell arrangiert, sind zwei Punkte für mich besonders wichtig. Der eine ist die Generationengerechtigkeit: Anders als bei anderen Gebührenmodellen wäre es bei einer Steuer oder einem Beitrag, den AbsolventInnen von Hochschulen zahlen müssen, möglich, die "gebührenfreie Generation" auch zur Kasse zu bitten. Studiengebühren wurde in Deutschland in den 1960er Jahren abgeschafft ("Hörergeld") und werden etwa dreißig Jahre später schrittweise wieder eingeführt. Wer dazwischen studiert hat - und das ist ein großer Teil der heute im Berufsleben stehenden akademischen Elite, aus deren Mund der Ruf nach der Einführung von Gebühren besonders vehement dringt - konnte ein staatlich finanziertes Studium an einer hinsichtlich Bafög etc. meist noch deutlich besser als heute ausgestatteten Hochschule genießen. Im Sinne der Generationengerechtigkeit halte ich es nur für fair, auch diese Generation solidarisch mit zur Kasse zu Bitten, d.h. eine AkademikerInnen-Steuer auf alle AbsolventInnen eines Studiums seit der Abschaffung des Hörergeldes auszuweiten. Damit würde auch sichergestellt, dass sofort Einnahmen aus dieser Steuer vorhanden wären. Eine Steuer oder ein Beitrag nur für zukünftige AbsolventInnen könnte dagegen als Affront gegen die junge Generation angesehen werden.

Der zweite wichtige Punkt ist die Frage, was mit den Einnahmen aus dieser Steuer oder diesem Beitrag passieren soll. Diskutierbar sind drei Varianten: In den allgemeinen Staatshaushalt, in den Bildungshaushalt oder direkt an die Hochschulen? Während letzteres - nicht nur im Sinne des Alumni-Gedankens - auf der ersten Blick optimal aussieht, und dann auch zur Profilbildung einzelner Unis beitragen kann, werden dabei zwei Probleme ignoriert: Die Tatsache, dass nur das System aller Hochschulen insgesamt die Qualität von Forschung und Lehre sicherstellt - und keine einzige Hochschule für sich, und, wichtiger noch, dass das Argument der VerteilungsgerechtigkeitstheoretikerInnen ja immer das ist, dass die großen sozialen Ungleichheiten in unserem Hochschulsystem letztlich darin begründet sind, dass die Kinder von AkademikerInnen studieren, und andere eher nicht, weil schon vor den Hochschulen - beim Übergang zu weiterführenden Schulen etwa - selektiert wird. Wird dieses Argument ernst genommen (und es scheint sich ja nicht nur im Rhetorik zu handeln), dann liegt es nahe, die Einnahmen aus den Beiträgen der AbsolventInnen zweckgebunden für das Bildungssystem insgesamt zu verwenden: für bessere Hochschulen, aber auch für Grundschulen, die Kindern nicht Wissen vermitteln, sondern, so pathetisch das klingen mag, Freude an Kreativität, Neugier und Wissbegierde. Eine Folge davon könnte sein, dass Deutschland nicht nur im PISA-Test besser abschneidet, sondern dass an den besseren Hochschulen letztlich auch mehr und bessere - weil kreativere und interessierte - Studierende studieren. Was insgesamt allen zugute kommen dürfte.

Till Westermayer


 
(c) Till Westermayer, Januar 2003.