Statement zur Bildungsgutschein-Debatte

für das Bündnis grün-alternativer Hochschulgruppen

Reinhard Loske hat mich dazu eingeladen, hier auf dem Podium als Vertreter des Bündnisses grün-alternativer Hochschulgruppen die studentische Sicht auf Bildungsgutscheine darzu-stellen. Genauer gesagt: Die studentische Sicht auf, wie es im Titel des Panels heißt, den Teufel, der im Detail der Umsetzung steckt. Diese Einladung nehme ich gerne an. Allerdings sitze ich hier - und das muss vielleicht betont werden - nicht als jemand, der Bildungsgutscheine im besonderen oder Studiengebühren im allgemeinen für politisch sinnvoll hält. Wundern Sie sich also nicht, wenn ich jetzt und in der späteren Diskussion vor allem auf die Nachteile von Bildungsgutscheinen eingehen werde.

Als Vorbereitung für diese Diskussion haben wir acht Leitfragen erhalten. In meinem Eingangsstatement möchte ich mich auf drei dieser Leitfragen beschränken und jeweils kurz ein paar Stichpunkte dazu nennen. Zugleich denke ich, dass ich damit auch deutlich machen kann, warum ich einen Wechsel weg vom freien Bildungssystem hin zu Studiengebühren in irgendeiner Form für falsch halte. Bevor ich allerdings auf die Leitfragen eingehe, möchte ich kurz skizzieren, warum auch Bildungsgutscheine für mich eine Form von Studiengebühren darstellen.

Ich nehme an, wir sind uns einig, dass Langzeitstudiengebühren eine Form von Studiengebühren sind. Ich komme selbst aus Baden-Württemberg und kenne mich deswegen mit damit einigermaßen aus - insbesondere weiß ich, dass sie als eine Form von Guthaben implementiert sind. In der Praxis sehen diese baden-württembergischen Langzeitstudiengebühren so aus, dass jeder Studierende bei Studienanfang über ein virtuelles Guthaben von "Regelstudienzeit des jeweiligen Faches plus vier Semester" verfügt. In meinem Fall - Magister Soziologie - hatte ich also ein Guthaben von 13 Semestern, und bin damit so eben ausgekommen. Nicht weil ich besonders langsam studiert hätte, sondern weil ich mich in verschiedenen Hochschulgremien (maximale Guthabenerhöhung: 2 Semester) betätigt habe, und mit Psychologie und Informatik zwei recht anspruchsvolle Nebenfächer hatte. Ich will Sie jetzt nicht mit persönlichen Details langweilen, sondern nur darauf hinweisen, dass ich de facto als Baden-Württemberger Student ein Studienkonto mit einem Guthaben von 13 Semestern vefügt habe.

Das Rheinland-Pfälzer Studienkontenmodell sieht auf den ersten Blick ganz anders aus, verspricht ein gebührenfreies Erststudium und eine höhere Flexibilität. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Konto, das in der Einheit Semesterwochenstunde geführt wird und etwas das großzügiger aufgefüllt ist. Das ist allerdings eine politisch jederzeit zu ändernde Bedingung. In Bezug auf Weiterbildung ist das Pfälzer Modell tatsächlich intelligenter konstruiert als die Langzeitstudiengebhren. Allerdings soll auch hier die Abbuchung wohl pauschal pro Semester erfolgen, womit dann wiederum der recht unhandliche Körnungsgrad des Baden-Württemberger Kontos erreicht wird. Die Alternative dazu ist ein zwar flexibleres, aber auch sehr viel komplexer zu handhabendes Modell, dass in studentischen Kreisen als "Chipkartenmodell" bekannt geworden ist (für ältere Semester hier: nennen wir es Stechuhrenmodell, und ich glaube, sie wissen, was ich meine). Beiden Modellen gemeinsam ist eine starke Einschränkung der universitären Freiheit, Dinge zu tun, die nicht direkt in Leistungsnachweisen münden. In anderen Worten: Der Charakter dessen, was an einer Hochschule üblich und möglich ist, ändert sich stark.

Damit wären wir dann auch schon bei der ersten Frage: Welche Änderungen müssen an den Hochschulen vorgenommen werden? Ich erlaube mir, diese Frage etwas umzustellen, und lieber darauf einzugehen, was sich an Hochschulen verändern wird, wenn Studienkonten (oder allgemein Studiengebührenmodelle) eingeführt werden. Es verändert sich zuerst einmal etwas in den Köpfen und später dann in der Organisation. Bildung wird sowohl aus Sicht der Studierenden wie aus der Sicht der Hochschulen zu einem Wirtschaftsgut. Hochschulen sollen von wissenschaftlichen Institutionen mit einer wissenschaftsspezifischen Form der Lehre und Ausbildung zu Dienstleistern in einem Bildungsmarkt werden. Die Überlegungen zur Weiterbildungsfunktion von Studienkonten und auch die willkürlichen Altersgrenzen sprechen hier Bände. Studierende auf der anderen Seiten sollen auf die eine oder andere Art und Weise zu Nachfragern auf diesem Markt werden. Ich allerdings hätte ungern im Supermarkt studiert.

Kurz gesagt: Allen finanziellen Anreizmodellen ist gemeinsam, dass Marktaspekte in den Vordergrund treten, dass Hochschulbildung nur noch als eine knappe Ressource angesehen wird, die es zu begrenzen gilt. Ich denke schon, dass finanzielle Anreizmodelle erfolgreich in dem Sinne sind, dass hier die Inanspruchnahme einer Ressource minimiert wird. Für uns Grüne ist das bei der Ökosteuer und ähnlichen Modellen ein sinnvolles Prinzip. Allerdings frage ich mich - und das ist eine politische Frage - ob wir uns als Gesellschaft ein marktorientiertes Hochschulsystem leisten können. Können wir das Zeitalter der Wissensgesellschaft mit der Vorstellung betreten, dass Wissen ein bloßes Handelsgut ist, und nicht mehr? Hier kranken im übrigen meiner Meinung nach auch die verschiedenen Umverteilungsrechnungen: nichtmonetäre gesellschaftliche Effekte akademischer Bildung spielen keine Rolle, es wird nur das individuelle Einkommen und die individuelle Steuerlast mit den Bildungsausgaben verrechnet.

Eine kurze Nebenbemerkung an dieser Stelle: Wäre es von denen, die hier eine Verteilungsungerechtigtkeit sehen, nicht ehrlicher, gleich die Akademikersteuer zu fordern - für alle, die einen Doktortitel, einen Magister oder ein Diplom führen?

Fazit zu dieser Frage: Wenn wir nicht wollen, dass sich Kernelemente der Hochschule aus dem Wissenschaftssystem verabschieden und ins Wirtschaftssystem wandern, dann müssen wir sehr genau darauf achten, wo Marktmechanismen sinnvoll einsetzbar sind, und wo zu viel Wirtschaftsorientierung Bildung als ein nicht bezahlbares Gut zerstört.

Soviel erst einmal dazu, was sich an den Hochschulen verändert. Was verändert sich für die Studierenden, welche Vor- und Nachteile ergeben sich? Hier kommt es darauf an, womit der Vergleich gezogen wird. Im Vergleich zu Langzeitstudiengebühren a la Baden-Württemberg, Niedersachsen und dem Saarland sind Kontenmodelle flexibler, das sei zugestanden. Im Vergleich zu allgemeinen Studiengebühren ist die soziale Abschreckwirkung vielleicht weniger stark ausgeprägt. Hier ist sie eine eher psychologische Wirkung, die aber nicht zu unterschätzen ist. Sie trägt dazu bei, dass Studieren noch stärker als heute ein Privileg für Akademikerfamilien wird. Im Vergleich zur freien Bildung sind Studienkontenmodelle für mich mit einem starken Regulierungsaspekt verbunden. Hier lässt sich eine Linie der immer stärkeren Verschulung - und letztlich wiederum auch Marktorientierung - der Hochschulen ziehen, angefangen von der Einführung der Regelstudienzeit über die politischen Impulse für das BA/MA-Programm und eine stärkere Orientierung am Arbeitsmarkt bis hin zu verschieden Exmatrikulations- und Prüfungsfristregelungen. Und auch ein auf Semesterwochenstunden reguliertes Studienkonto, vielleicht noch mit einer Chipkartenabbuchung der Pflichtleistungen, dürfte wiederum ein deutliches Signal für mehr Verschulung und weniger eigenständiges Denken an den Hochschulen sein. Studierende sind dann weniger Kunden der Hochschule als vielmehr Rohmaterial, aus dem in einem Fertigungsprozess letztlich genormte Produkte werden. Nur als Stichwort - auch die Dienstrechtsreform mit ihrer strikten Karriereplanung geht genau in diese Richtung.

Mit anderen Worten: Studierende werden sich vermutlich noch stärker als bisher daran orientieren, schnell mit dem Studium fertig zu werden und nur Pflichtleistungen zu erbringen. Studienziel wird noch mehr als heute nicht Fortschritt der Wissenschaft, sondern ein möglichst hohes Gehalt sein.

Nun kann man das politisch für richtig halten. Ich frage mich allerdings - ohne mich damit zum Beispiel gegen verstärkte Berufsberatung an den Hochschulen oder gegen eine Strukturierung des Grundstudiums auszusprechen - ob es unserer Gesellschaft gut tut, wenn diejenigen, die in irgendeiner Form daran arbeiten, unsere gesellschaftlichen Probleme zu lösen, sich letztlich entweder aus den genormten Produkten eines trotz PISA weiterhin verschulten Systems von ganz früh bis zur Promotion rekrutieren, oder aber aus der Gruppe derjenigen, die sich ihre Bildung in den dann sicherlich bald vermehrt auftauchende teuren und exzellente Eliteuniversitäten kaufen konnten. Brauchen wir nicht angesichts des derzeitigen Zustands unseres Planeten eher ein Mehr an Bildung, ein Mehr an Kreativität und ein Mehr an Eigenverantwortung - unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Herkunftsfamilien? Mit einer bürokratischen Begrenzung von Bildung auf der einen Seite und einer stärkeren Wirtschaftsorientierung auf der anderen Seite scheinen mir unsere heutigen Probleme kaum lösbar.

Kurz noch zur dritten Frage, was ich von den bundespolitischen Akteuren erwarte. Ehrlich gesagt - nicht mehr viel! - Ich wünsche mir aber einiges: eine ernsthafte Auseinandersetzung damit, was mit denjenigen passiert ist, die sich in Baden-Württemberg die Langzeitstudiengebühren nicht leisten konnten. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den sozialen Folgen von Studienkonten und Studiengebühren (hier sind mir viel zu viele Wunschzettel a la besseres Stipendiensystem und BAföG-Reform zu sehen, und viel zu wenig konkrete Modelle, wie den die soziale Verträglichkeit aussehen soll). Und nicht zuletzt eine ernsthafte Auseinandersetzung damit, welche Aufgabe Hochschulen in Zukunft haben sollen, wieviel Markt sich eine Gesellschaft leisten kann und wieviel Elfenbeinturm eine Gesellschaft braucht, die vor großen Herausforderungen steht.


 
(c) Till Westermayer, Februar 2002.
Statement auf der Bildungsgutschein-Veranstaltung der grünen Bundestagsfraktion am 01.02.2002. Es gilt das gesprochene Wort.