ViP, ViP, hurra!

Einige Beobachtungen von Till Westermayer zum ersten Virtuellen Parteitag (ViP).

Ein virtueller Parteitag? Was soll das denn sein? Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg haben es einfach ausprobiert. Die Grundidee ist folgende: wenn ein real existierender Parteitag ins Netz verlegt wird, fallen Fahrtwege weg, mit der Zeit kann entspannter umgegangen werden, und auch Menschen, die z.B. nur abends eine Möglichkeit haben, am Parteitag teilzunehmen, können dabei sein. Nachdem diese Idee im Sommer in den Landesvorstand eingebracht wurde, und dort nach einigen Debatten - etwa über die Frage, ob damit nicht Leute ausgegrenzt werden - auch auf Zustimmung gestoßen ist, wurde nach einigen Vorarbeiten, Delegiertenwahlen und Informationsveranstaltungen, am 24.11.2000 schließlich der Parteitag eröffnet. Zehn Tage lang wurde auf der Website www.virtueller-parteitag.de diskutiert und abgestimmt. Auch jetzt noch sind dort die Diskussionen und Abstimmungsergebnisse für alle Welt nachzulesen.

Zur Debatte standen die beiden Themenbereiche elektronische Demokratie und Ladenschluss; dazu kamen noch diverse Resolutionen zu aktuellen landes- und bundespolitischen Themen sowie ein 'Kaffeeecke' getaufter Bereich. Hier sollte die informelle Diskussion ablaufen, die auf Parteitagen der herkömmlichen Art in den Gängen und im Foyer ihren Platz findet. Erfolgreich, wie es scheint, denn etwas mehr als die Hälfte der fast achthundert Wortmeldungen tauchte dort auf. Um einen Redebeitrag in diesen Debatten zu halten, musste mensch erstens Mitglied der baden-württembergischen Grünen sein (abgesehen vom prominenten Gastredner, Ministerpräsident Teufel) und zweitens ein Passwort haben (was Delegierte und die Landesvorstandsmitglieder so bekamen, und alle anderen bei der Landesgeschäftsstelle beantragen konnten). Danach konnte dann das Redepult angeklickt, die Rede getippt und das gewünschte Forum - vom 'Parteitagsgeflüster' bis zu Spezialdebatten über einzelne Teil des eDemokratie-Antrags - ausgewählt werden. Fertig. Klappte auch in fast allen Fällen, vereinzelt landeten Redebeiträge irgendwo, wo sie nicht hingehörten. Darum und um die organisatorische Abwicklung und die Betreuung der eingereichten Änderungsanträge (auch hier war jedes passwortinhabende Mitglied antragsberechtigt; in Analogie zu einem realen Parteitag mussten zehn Mitglieder oder ein Orts- oder Kreisverband hinter einem Antrag stehen, damit er behandelt wurde) kümmerte sich ein zehnköpfiges Präsidium. Abstimmen durften nur die Delegierten; dies geschah in drei Abstimmungsrunden (Leitantrag, Änderungsanträge, Endabstimmung und Resolutionen). Nur etwa zwei Drittel der 115 Delegierten nahmen dann auch tatsächlich an den Abstimmungen teil. An den Diskussionen beteiligten sich immerhin 117 Personen (etwa 60% Delegierte, der Rest bestand aus 'einfachen' Mitgliedern). Von den etwa 7.500 Mitgliedern der Grünen in Baden-Württemberg haben damit 1,5% an der Debatte teilgenommen - das dürfte deutlich mehr sein als bei einem normalen Parteitag, aber weniger als von einigen erhofft. Ein Großteil des Redebeiträge entfiel auf nur relativ wenige Personen, die dafür umso intensiver diskutierten - auf der anderen Seite standen viele, die nur in ein oder zwei Beiträgen das neue Medium einmal ausprobierten. Trotz Quote bei den Delegierten waren fast zwei Drittel der Teilnehmenden Männer. Ähnlich sieht es bei der Zahl der Beiträge aus - bis hin zum Extremfall des Themenbereichs eDemokratie, wo über 80% der Beiträge von Männern kamen. In bezug auf die Geschlechterverhältnisse scheinen sich hier also herkömmliche Strukturen zu replizieren oder sogar zu verstärken. Anders mag es in Bezug auf die Einflussnahme aussehen: weniger als auf herkömmlichen Parteitagen waren Phänomene wie die des 'Leithammels' oder von vorneherein vorgefertigte Blockstrukturen erkennbar.

Wie wird es weitergehen? Verschiedene Leute sind momentan dabei, den Parteitag unter verschiedenen Aspekten zu evaluieren und zu analysieren. Ganz ablösen wird ViP den realen Parteitag sicher nicht - zumindest nicht, solange das Fernsehen Leitmedium bleiben. Denn an einem Ort tagende Menschen lassen sich einfach sehr viel besser inszenieren als gesichtslose Textbeiträge. Und trotz der intensiv genutzten 'Kaffeeecke' beklagten viele das Fehlen der echten Parteitagsatmosphäre. Vielleicht aber kann der virtuelle Parteitag ein Modell dafür sein, wie in einem Flächenland ganz praktisch mit Hilfe eines neuen Mediums politische Entscheidungen in einer offenen, intensiven Debatte vorbereitet werden können - die eigentliche, entscheidende Abstimmung kann dann das Event bleiben, das sie jetzt schon ist.


 
(c) Till Westermayer, Februar 2001. Veröffentlicht in: SPUNK 27, Februar 2001, S. 10.