You are the world

Globalisierung ist nicht nur ein wirtschaftlicher oder politischer, sondern auch ein kultureller Vorgang. Till Westermayer macht sich Gedanken dazu.

Manche Leute reden von Globalisierung und meinen damit, dass große Konzerne ihre Macht ausweiten und dass Handelshemmnisse fallen. Wieder andere denken an die Beschleunigung weltweiter Finanzströme. Oder sie denken dabei vor allem an die sinkende politische Bedeutung des Nationalstaats. All das ist nicht falsch. Natürlich ist es für Menschen extrem wichtig, ob ein Weltmarkt besteht und wie er reguliert ist (egal, ob es um Rentenfonds oder Patente auf Medikamente geht) und wer die politischen Richtlinien aufstellt (oder darüber bestimmt, wo, ob und wie welcher Krieg geführt wird). Trotzdem fehlt hier etwas.

Auch Theorien der kulturellen Globalisierung gehen davon aus, dass es transnationale Ströme von Finanzen und Produkten gibt. Zwei weitere Aspekte, die letztlich den Weltmarkt, die globale Finanzordnung möglich machen, rücken ebenfalls ins Blickfeld: es gibt globale Kommunikationsnetze (vom Satellitenfernsehen bis zum Internet), und es gibt globale, transnationale Bewegungen von Menschen - in der Form von Arbeitsmigration oder Flucht, in der Form von TouristInnen, und nicht zuletzt in der Form von ManagerInnen und BeraterInnen, Künstler--Innen und PolitikerInnen, die von Airport zu Airport jetten.

Nun kommt der besondere Eigensinn kultureller Globalisierungstheorien ins Spiel: zusammen mit Produkten, Medienbotschaften, MigrantInnen und SymbolanalytikerInnen wandern Bilder und Ideen um die Welt. Unter dem Stichwort des Kulturimperialismus wurde schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eifrig gezählt und gemessen, wie viele Filme aus Hollywood und wie viele Nachrichten aus Washington kamen. Werbung und Produkte von Coca-Cola, McDonalds und später Microsoft taten ihr übriges. Neu ist allerdings zum einen der Gedanken, dass es sich nicht um einseitige, zentralisierte Ströme aus den USA oder dem Westen in den Rest der Welt handelt. Wichtig ist zum anderen die Vorstellung, dass Menschen sich nicht einfach beeinflussen lassen von diesen Medienbotschaften und Produkten, sondern aktiv damit umgehen. Theorien der kulturellen Globalisierung gehen deswegen auch nicht davon aus, dass es zu einer globalen Einheitskultur kommt.

Das muss näher erläutert werden, und dazu ist es notwendig, einen Blick auf den Kulturbegriff zu werfen. Letztlich meint Kultur hier die alltäglichen Bedeutungen, die Symbolen, Gegenständen und Handlungen zugeschrieben werden. Kultur wird dabei als etwas begriffen, was nicht statisch ist - sich also verändern kann, und was nicht mehr einheitlich für einen bestimmten Raum gilt: die Bedeutung einer Volksmusikkassette dürfte auch im Großraum München extrem variieren. Mit diesem Kulturbegriff kann es so etwas wie eine homogene, vereinheitlichte Weltkultur gar nicht geben. Auch die im Kampf miteinander liegenden Kulturen eines Samuel Huntingtons sind dann nur schwer vorstellbar.

Wenn Kultur in diesem Sinne mit etwas 'Fremden' zusammentrifft, verändert sie sich. Globalisierung hat die Wahrscheinlichkeit für solche Zusammentreffen extrem erhöht. Die verschiedenen globalen Ströme führen Menschen mit ihren kulturellen Praktiken, Gegenstände, Medienbotschaften, Ideologien und Ideen mit. Zusammen mit schon vorhandener Kultur entsteht etwas Neues ('Hybridisierung'). Etwas plastischer: Selbst so globale Marken wie Coca-Cola werden in der Karibik (mit Rum mixen!), in Russland (angeblich beliebt als Antifaltenmittel) oder in Lateinamerika (argentinisches Nationalgetränk) mit jeweils ganz anderen Ideen verbunden. Piercing als Schmuckform indigener Völker ist bei den AnhängerInnen von Techno (einem typisch deutschen Musikstil) 'in'. Beliebte Gerichte der neueren deutschen Küche sind Tiefkühlpizza und Döner Kebab. Jugendliche Cliquen aus der dritten Einwanderergeneration identifizieren sich mit Rap, treten als Street Gang auf und halten zugleich tradierte Geschlechtervorstellungen hoch. Die Entwicklung 'dritter Kulturen' muss dabei durchaus nicht immer positiv im Sinne eines naiven Multikultigedanken sein. Ganz im Gegenteil: der Kontakt mit Neuem, Fremden, Anderen ist eben immer auch eine Auseinandersetzung im Wortsinn, und erfordert Abwägen, Verhandeln, Diskutieren. Denn das, was bisher war, ist nicht allein deswegen gut, weil es schon immer da war. Genauso wenig gilt das Gegenteil.

Zugleich mit der Vervielfältigung und dem Komplexerwerden von Kultur taucht jetzt so etwas wie ein globaler Bezugspunkt auf. Das (noch immer stark westlich dominierte) globale Produkt-, Medien- und Kommunikationssystem synchronisiert Moden und Ereignisse, aber auch normative Vorstellungen und Ideale: Vieles ist weltweit bekannt, wird zwar vielleicht unterschiedlich interpretiert, bietet aber zumindest eine gemeinsame Diskussionsgrundlage. Zugleich fühlen wir uns als Mitglieder ganz unterschiedlicher imaginärer globaler Gemeinschaften. Was hat kulturelle Globalisierung mit Politik zu tun? Letztlich macht gerade die Tatsache, dass wir heute sehr viel stärker als früher mit kulturellen Veränderungen konfrontiert sind, die Idee kultureller Globalisierung zu einem wichtigen Konzept, um politisch damit umzugehen. Denn - Stichwort Leitkulturdebatte - politisch festsetzen lässt Kultur sich nicht!

Literaturtipp: Breidenbach, Joana / Zukrigl, Ina (2000): Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt. Berlin: Rowohlt, DM 16,90, 250 Seiten.


 
(c) Till Westermayer, November 2001. Gekürzt in SPUNK #31 erschienen.