"Ick steht zu meiner dicken Soße"

7.11.2000: Dunkeldeutschland ließ diskutieren

Fast schon paradox mutet es an, wenn eine Veranstaltung, die von der Prämisse ausgeht, dass sich hier in Freiburg niemand für den neuen Osten der Republik interessiert, dann doch in Hörsaal 1010 verlegt werden muss, weil der Andrang so groß ist. Da sitzen sie nun, und schauen gebannt auf das kleine Podium - dreihundert Menschen, die wissen wollen, wo Dunkeldeutschland liegt. Vielleicht sind sie auch nur gekommen, weil Regine Hildebrandt so wunderbar zugespitzt formulieren kann. Oder weil sie noch nichts vorhatten, an diesem Abend. Jetzt sind sie jedenfalls da, und warten. Die Hinweise auf die Dunkeldeutschland-Sponsoren und das Spendenferkel. Dann fängt es an. Nicht mit Jens König, dem von der taz eingeflogenen Moderator, und auch nicht mit Hildebrand oder den anderen zwei Podiumsteilnehmern, Hanna Lehmann (Katholische Akademie, Freiburger Ostimport) oder Elmar Schenkel (Sprachwissenschaftler, Leipziger Westimport). Sondern mit einer Diacollage. Links Freiburg, rechts Jena. Und dazu Stimmen. Freiburger lästern über die neuen Bundesländer ab. Klar, die da drüben denken sicher, dass Freiburg toll sei, wenn sie gefragt würden. Aber für uns hier hat Ostdeutschland keine Bedeutung. Eher für Städte näher an der Grenze. Und überhaupt, die sollen selber schaffen. Sie steht noch, die Mauer.

Jetzt sind die vier vom Podium dran. Warum diese Unkenntnis? Schenkel zieht Vergleich zwischen Freiburg und ökologischen Utopie-Fesselballons. Hildebrandt zieht eine Schnute und meint, dass sich in Berlin die Leute schon interessieren würden, wenn ein neuer Teil zu Deutschland dazu kommt. Hier sei das wohl anders. Plädoyer dafür, wenigstens mal hinzugehen, "man muss es ja nicht lieben". Und darf dann die Mecklenburger auch genauso stur wie die Ostfriesen finden. Lehmann zieht die Freiburg-Karte: "Kennen sie die Rote, Frau Hildebrandt?". Und meint die vom Münsterplatz, und überhaupt sei hier ja alles so nett, dass einfach nicht über den Tellerrand hinausgeschaut werde. Und wenn, dann lieber auf den Elsässer Wein. Ganz anders im Osten: Da habe man immer nach Westen geschaut, alles genau studiert, und will jetzt hin.

Diacollage, zweiter Teil: Naja, in Jena sind die Menschen auch nicht aufgeklärt. Freyburg an der Unstrutt kennen 'se, und unser Freiburg hier, das sei so nah an der Grenze, das gehöre fast nicht mehr zu Deutschland. Wo kommen die Vorurteile her? Schenkel weist auf die Vorurteilsindustrie hin - Bücher, Filme, Zeitschriften, alle reproduzieren sie die Vorurteile. "Werden Sie für einen Ostler gehalten, in Leipzig?" - Ja, dann würde der westfälische Akzent herausgekehrt. Hildebrandt, nicht zu stoppen: Es gäbe da ganz schlimme Bücher. Wie Missionare in den Busch seien manche Wessi in den Osten gekommen. Mit Vorurteilen, die so verletzend sind, das keine Verständigung möglich ist. "Dieses Wissen darum, was gut und böse ist, und das die irgendwie steckengeblieben ist - det is das schlimme daran." Stand sich mit Sensibilität gegenseitig zu erzählen, was anders ist. Zum Beispiel mittags: "Bei mir sind die Sossen dick, dat is das schönste am Mittagessen." Und die Familie freut sich. Lehmann lamentiert über den Heimatverlust, dadurch, dass drüben alles "eingewestet" wird. Schenkel zieht Vergleiche zwischen Dunkeldeutschland und Lightkultur.

Das Publikum wird unruhig und mischt sich in die Debatte ein. 2/3-Ossis beschweren sich darüber, das Frau Hildebrandt das alles ganz falsch darstelle, bzw. das die im Osten wirklich rückständig seien. Die gute alte Westbindung wird hervorgeholt und von allen Seiten abgetastet - vom elsässisch-kulinarischen bis hin zum amerikanisch-demokratischen. Es wird darüber geredet, wo die Unterschiede liegen. Und die Gemeinsamkeiten. Und darüber, dass durch den Beitritt - "Det war ja keine Wiedervereinigung, sondern ein Beitritt nach Artikel 23 Grundgesetz. Wiedervereinigung wär' schöner gewesen, wie Ehe - da macht man alles gemeinsam. Klar, dass jetzt alles westlich wird." - statt lichter Freiheitsliebe und rheinisch- republikanischer Kleinstadtpolitik wieder dumpfdeutscher Nationalismus samt Leitkultur Programm ist. Und die Debatte wird heftiger. Ist Solidarität noch zeitgemäss? Darf darüber überhaupt diskutiert werden? Der Versuch, zu erklären, warum die DDR solidarischer war ("alles im Kollektiv, da ist man füreinander eingestanden") geht schief. "Wollen sie denn wieder IMs haben? Spitzelsystem und Sozialkontrolle?" Glücklicherweise kommt es nicht zur Eskalation. Für die soziale Kontrolle sorgt der Hausmeister, pünktlich wie immer. Und der letzte macht das Licht aus.


 
(c) Till Westermayer, November  2000. Veröffentlicht in: u-asta-info 663, 23.11.00, S. 4.